Der Frauenjäger
Marlene. «Schön rauf und runter. Drei Minuten, ich schaue auf die Uhr.»
Das tat sie nicht, registrierte stattdessen all die Kleinigkeiten, die Barbara König gehörten. Ein Fläschchen Eau de Toilette, ein Lippenstift und ein Rougepinsel auf der Ablage unter dem Spiegel. In einem Regal lag ein offenes Täschchen mit weiteren Make-up-Utensilien neben einem grobgezinkten Kamm und einem Föhn. So ungefähr musste es auch in Mona Thalmanns Badezimmer ausgesehen haben.
In ihrem Hinterkopf sagte die gepiercte Elke vom Lokalradio noch einmal mit hörbarem Unbehagen:
« Killing Me Softly
, mit einem schönen Gruß von Barbara.»
Der Junge und das Mädchen teilten sich ein Zimmer im oberen Stockwerk. Nachdem Marlene ihnen die Haare trocken geföhnt hatte, ging er voran. Auf dem oberen Flur standen zwei Türen offen. Das Schlafzimmer lag zur Straße. Die offene Tür erlaubte einen Blick auf ein Doppelbett. Beide Hälften sahen aus, als seien sie nach einer sehr unruhigen Nacht verlassen worden. Auf dem Fußboden neben dem linken Bett lag ein Haufen zerknüllter Papiertücher. Über Herrn Königs Nächte gab es nicht mehr zu sagen.
Im Zimmer der Kinder war Spielzeug auf dem Fußboden verstreut. Marlene blieb bei der Tür stehen, schaute nur zu, wie beide in ihre Betten stiegen. Es drängte sie nicht, das Bettzeug näher in Augenschein zu nehmen. Im Anschluss hätte sie vermutlich hinübergehen müssen, um saubere Bettwäsche aus dem Elternschlafzimmer zu holen. Und am Ende hätte sie dann doch den Papierberg weggeräumt und das Doppelbett frisch bezogen. Irgendwo musste man eine Grenze ziehen und es gut sein lassen.
Als sie wieder herunterkam, saß Karola unverändert amTisch in der überheizten Küche. Herr König stand am Ausguss, spülte ein Glas unter fließendem Wasser und erzählte von Vormittagen, an denen die Kinder aus der Schule in ein verlassenes Haus gekommen waren. Hätten sie keine Schlüssel gehabt, wären sie gar nicht hereingekommen. Wochenlang war es so gegangen, ehe Dennis – gemeint war wohl der Junge – es ausgeplappert hatte.
Natürlich hatte Herr König seine Babs daraufhin zur Rede gestellt. «Einen freien Abend in der Woche hatten wir vereinbart. Sie braucht ein bisschen Freiheit, das verstehe ich ja. Sie hat mir immer versichert, dass da nichts läuft, dass sie sich nur amüsieren will. Sie führt die Kerle gerne an der Nase herum, macht sie heiß und lässt sie dann stehen. Aber dass sie sich auch vormittags mit irgendwelchen Pennern herumtrieb und nicht daheim war, wenn die Kinder aus der Schule und dem Kindergarten kamen, das wollte ich nicht hinnehmen. Wir hatten einen heftigen Streit deswegen. Sie warf mir vor, ich sei ein Spießer.»
«Du bist ein richtiger Spießer, Papa»,
zirpte Marlene die Stimme ihrer Tochter durch den Kopf. In seinem Anzug und dem Hemd hätte Herr König ein Angestellter von Werner sein können.
Karola bedeutete ihr erneut, sich ruhig zu verhalten. Marlene schüttelte energisch den Kopf und gab mit einem Zeichen auf ihre Armbanduhr zu verstehen, dass sie keine Zeit mehr habe. Als Karola daraufhin abwinkte, sagte sie: «Andreas ist wieder da.»
Herr König unterbrach sich mitten im Satz, riss verblüfft die Augen auf und vergaß sekundenlang sein eigenes Elend. Karola schoss vom Stuhl hoch, als sei der unter Strom gesetzt worden. «Warum sagst du das nicht gleich?», ereiferte sie sich. «Du hast Nerven, stehst hier herum und machst den Mund nicht auf.»
«Ich stand nicht herum», korrigierte Marlene. «Ich habe die Kinder gebadet und ins Bett gebracht.»
Darauf ging Karola nicht ein. «Wo ist er?»
Marlene zeigte durch den Flur zur Haustür und wunderte sich ein wenig über sich selbst. «Draußen. Julia will ihn erst reinlassen, wenn er zugibt, dass er Monas Liebhaber war.»
Karola war etwas schneller als sie, riss die Tür auf und spähte zu ihrem Haus hinüber. «Wo?»
«Tut mir leid», sagte Marlene und schob sie ins Freie. «Ich wusste nicht, wie ich dich sonst aus dem Dreck loseisen sollte.»
«Du hast vielleicht Nerven», fuhr Karola erneut auf.
«Nicht so gute wie du», hielt Marlene dagegen und schob sie weiter. «Ich hätte nicht stundenlang in dieser Müllkippe sitzen und die Kinder anschauen können.»
«Ich bin doch nicht deren Putzfrau», verteidigte Karola sich. «König war noch nicht zu Hause, als ich kam. Ich habe seine Mutter angerufen. Auf die Idee war er noch nicht gekommen. Er gibt halt nicht gerne zu, was für ein Herzchen seine
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