Der Frauenjäger
abgefangen hatte, stand genau mittig auf der Kante und hatte ebenfalls Ösen, durch die wohl mal ein Seil oder sonst etwas geschlungen gewesen war. Er war total verrostet, ein Wunder, dass er unter ihrem Gewicht nicht gebrochen und mit ihr in den großen Wasserkessel gefallen war.
Das Flämmchen erlosch. Und sie überlegte, doch noch ihre Strumpfhose zu opfern. Nicht als Fackel, sondern als Absperrung. Sie hätte beide Füßlinge mit den Ösen verknoten undden Slipteil um den Stab schlingen können. Aber um die Ösen zu erreichen, müsste sie blind auf der glitschigen Kante herumturnen. Und dass der rostige Stab ihr Gewicht noch einmal hielt, bezweifelte sie. Da konnte sie auch gleich in den Kessel springen und auf die Weise feststellen, wie tief er war.
16. Januar 2010 – Samstagabend
Als Marlene und Ulla nach ihrer Unterhaltung vor Karolas Bad wieder nach unten kamen, gruppierten sich Annette, Matthias und Karola noch um den Chilitopf auf dem Esstisch. Werner und Christoph saßen auf der verschlissenen Couch. Die meisten Möbel stammten noch von Karolas Schwiegermutter.
Werner trug Jeans wie seine Freunde. Am Wochenende machte er es sich gerne mal bequem. Nur wirkte eine Jeans bei seiner Figur anders als an einer Dachlatte oder einem Fass. Das Hemd hatte er in den Hosenbund gesteckt. Er trug es nie wie einen Sack bis über den Hintern hängend, um Fettrollen oder vorstehende Knochen zu kaschieren. Seine Taille zierte ein Gürtel der Größe neunzig. Ein attraktiver Mann. Ihr Mann. Und plötzlich fühlte Marlene den Stolz wieder und ein heißes Aufwallen hinter den Rippen, war glücklich und zufrieden, dass die Würfel damals so und nicht anders gefallen waren.
Während ihrer Abwesenheit hatte Karola begonnen, Annette und Matthias von Werners Bemühungen um das Schließblech ihrer Kelleraußentür zu berichten, die leider gar nichts gebracht hatten, weil der Rahmen völlig verzogen war.
«Ich bekomme jetzt schon Zustände, wenn ich an morgen Abend denke», erklärte sie gerade, als Marlene und Ulla sich wieder dazugesellten. «Dann ist Julia alleine hier. Wenn jemand reinwill, braucht er nur leicht von außen zu drücken.»
«Wer soll denn in deinen Keller wollen?», erkundigte Annette sich spöttisch.
«Frag mal deinen Mann, welchen Weg Einbrecher am liebsten nehmen», konterte Karola und schielte zu Christoph hinüber, der sich mit Werner über die bescheuerten Steuergeschenke der schwarz-gelben Regierung unterhielt. Und den Kommunen fehlte das Geld für dringend notwendige Instandsetzungsmaßnahmen an öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Hallenbädern, Sporthallen, Spielplätzen und so weiter.
Weil keiner von beiden reagierte, nahm Karola wieder Matthias aufs Korn, den sie offenbar auch zuvor schon für ihr Ansinnen hatte gewinnen wollen. «Es würde fürs Erste vermutlich reichen, wenn jemand von innen einen Riegel anbringt. Das kann nicht so schwer sein. Ich könnte wieder ruhig schlafen und müsste mir morgen Abend keine Sorgen um Julia machen, wenn ich im Sender bin.»
«Wenn es nicht schwer ist, probier es doch erst mal selber», empfahl Matthias. «Einen Riegel bekommst du im Baumarkt. Schrauben gibt es da auch. Und beides ist gar nicht teuer. Nicht immer gleich um Hilfe schreien. Selbst ist die Frau.»
«Welch wahres Wort von einem, der das beurteilen kann», konterte Karola. «Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, morgen ist Sonntag. Im Baumarkt kann ich erst am Montag etwas besorgen.»
Sie wandte sich an Marlene. «Meinst du, Johanna wäre bereit, morgen hier zu übernachten? Wir könnten Stefanies Bett in Julias Zimmer schieben. Dann wäre sie nicht ganz allein.»
Ehe Marlene zu einer Antwort kam, mischte Ulla sich ein. Ihr gefiel es nicht, wie Karola mit Matthias gesprochen hatte. Obwohl Ulla selbst den ganzen Abend noch kein Wort mit ihm gewechselt und nicht einmal beim Essen wie sonst üblich neben ihm gesessen hatte – dass ihr Mann von einer anderen abgekanzelt wurde, duldete sie nicht. «Wieso regst du dich dennplötzlich darüber auf, dass Julia alleine hier ist? Das ist sie doch sonst auch jeden Dienstag-, Freitag- und Sonntagabend.»
«Aber sonst ruft keiner hier an und bedroht sie», erklärte Karola. «Zwischen elf und zwölf letzte Nacht hat viermal das Telefon geklingelt. Zweimal wurde sofort aufgelegt, wenn der AB sich einschaltete. Beim dritten Mal hat jemand geflucht, beim vierten Mal – das hört ihr euch besser selbst an. Julia war völlig durcheinander, als
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