Der Frauenjäger
die Andreas mit unwirksamen Magentropfen versorgt hatte? Und wer, wenn nicht Andreas, hatte sie … und wann und wo? Mit seinem knappen Bericht hatte Werner sie vor riesengroße Fragezeichen gestellt.
«Dann bringen wir die Sachen am besten zur Polizei, ehe wir heimfahren», sagte er. «Du kannst auch gleich deine Aussage machen, wenn du dich dazu in der Lage fühlst. Dann haben wir das restliche Wochenende vielleicht für uns, und du kannst dich ungestört erholen.»
Er faltete die beiden Hosen zusammen und packte sie zu Schal, Mütze und Handschuhen in die Tasche, in der er Marlenes Sachen mitgebracht hatte. Als er mit dem langen Mantel ebenso verfahren wollte, wurde er auf den Tascheninhalt aufmerksam,zog die vier DV D-Hüllen heraus und erkundigte sich: «Was ist das?»
«Ach Gott.» Marlene fasste sich schuldbewusst an die Stirn. «Die hätte ich den Polizisten wohl sofort geben müssen. Das sind Filme. Nummer acht ist Barbara König. Die drei anderen habe ich mir nicht angeschaut.»
Daraufhin stopfte Werner die DV D-Hüllen kommentarlos zu den Kleidungsstücken in die Tasche, packte Marlenes ruinierte Steppjacke, in deren Taschen immer noch das Zündholzbriefchen und die sichergestellte Zigarettenkippe steckten, obenauf, zog den Reißverschluss zu und fragte: «Gehen wir noch kurz zu Andreas? Ich hab seine Zimmernummer. Oder wird dir das zu viel?» Sie schüttelte nur den Kopf und folgte ihm.
Noch grauer und eingefallener als am Dienstag lag Andreas in dem weißen Bett. Er wusste noch nicht, was Marlene widerfahren war. So begriff er gar nicht, wovon sie sprach, als sie gestand: «Ich hatte dich in einem schrecklichen Verdacht.»
«Macht nichts, Lenchen», sagte er mit matter Stimme. «Was soll man auch von mir denken, wenn Karola loslegt? Dabei war die Kiesgrube ihre Idee. Und mit dieser Mona hatte ich wirklich nichts zu tun. Dass du mich trotzdem aufgenommen hast, kann ich dir gar nicht hoch genug anrechnen.» Er wandte sich an Werner. «Weißt du, dass sie ein Engel ist, Wewe? Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte es mich wahrscheinlich irgendwo draußen erwischt. Da wäre ich hopsgegangen.»
«Jetzt übertreib mal nicht», erstickte Werner die Rührseligkeit im Keim. «Mach die Augen zu und schlaf dich gesund.»
«Das ist ein Krankenhaus und kein Hotel. Hier kommst du nicht zum Schlafen», behauptete Andreas, schloss aber trotzdem die Augen und war vermutlich bereits eingenickt, als sie zur Tür gingen.
Statt zur Polizei fuhr Werner in die entgegengesetzte Richtung – zur Autobahn. Er wollte die Filme sehen, ehe er dieDVDs ablieferte. Davon erhoffte er sich entschieden mehr Aufschluss als von Marlenes Aussage oder einem Gespräch mit Kriminalbeamten. Trotz des Wochenendes ging er selbstverständlich davon aus, dass Kriminalbeamte bereits Ermittlungen aufgenommen hatten.
Daheim angekommen schaffte Werner die Kinder mit Geld und einer Einkaufsliste aus dem Haus. «Mama ist nicht in der Verfassung, Einkäufe zu machen, das seht ihr doch. Und dass ich Mama jetzt nicht alleine lassen möchte, versteht ihr bestimmt.»
Bei Johanna hatte das Märchen vom Autounfall nicht mehr funktioniert, weil sie noch bei Barlows gewesen war, als Annette aus der Bücherstube nach Hause gekommen war und Christoph eingeweiht hatte. «Du glaubst nicht, was Marlene passiert ist.» Johanna hatte anschließend ihren Bruder aufgeklärt. Verständlicherweise brannten beide darauf, Einzelheiten zu erfahren, wagten jedoch keinen Widerspruch.
Kaum war die Haustür hinter ihnen zugefallen, legte Werner die erste DVD in den Rekorder. Pedantisch, wie er nun einmal war, begann er mit der Nummer fünf. Marlene wollte sich das eigentlich nicht antun, aber sie musste: Sehen, wer außer ihr und Barbara König da unten gewesen war. Hören, wie ihre Vorgängerinnen geweint, geschrien, getobt, geflucht und gebettelt hatten. Und begreifen, wie viel Glück sie gehabt hatte.
Auf dem großen Fernsehbildschirm wirkte es noch bedrückender als auf den Flatscreen-Monitoren im Gang hinter der getarnten Tür. Nummer fünf lag in einer der Kuhlen, zusammengekrümmt wie ein getretener Wurm. Im Gegensatz zu Marlene, die in ihrer Winterkleidung etwas Schutz gegen die Kälte gefunden hatte, trug Nummer fünf nur ein dünnes Shirt, eine Caprihose und Riemchensandalen an den nackten Füßen. Aber vielleicht war es im Sommer in der Höhle nicht gar so kalt.
Aus den Fernsehlautsprechern drang schwaches Rauschen und Musik. Eine Frau sang:
«Stromin
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