Der Frauenjäger
einer Wimper zu zucken.
«Beweisstücke», erklärte Werner. «Darunter vier Filme auf DVD, in denen Frauen zu sehen sind, die nicht geschafft haben, was meiner Frau am Freitag gelungen ist.»
Der ahnungslose junge Mann wollte sofort Ermittlungsbeamte im Bereitschaftsdienst herzitieren.
«Schicken Sie lieber alle, die Sie erreichen können, zu Flurstück drei, wo immer das sein mag», empfahl Werner. «Mit ein bisschen Glück treffen Ihre Kollegen den Entführer an. Wenn nicht, liegen da immer noch die Frauen, die nicht entkommen sind. Zwei sind uns namentlich bekannt, Mona Thalmann und Barbara König.»
Natürlich verließen sie die Wache nicht mit der gefüllten Tasche. Verblüffend schnell hatte der junge Mann Verstärkung um sich geschart und den Kollegen Lambrecht auf dessen Handy erreicht. Er reichte den Hörer an Marlene weiter. Dann durfte sie auch etwas sagen, nämlich erklären, wie man vom Vorratskeller in den Gang mit den Computern gelangte.
25. Januar 2010 – Montag – und die Zeit danach
Am späten Nachmittag kamen zwei Beamte vom LKA. Die Kinder waren längst aus der Schule zurück und schon wieder weg: Johanna zu Barlows, wo Karolas Jüngste immer noch Obdach fand, Leonard war mit einem Freund unterwegs. Werner war kurz zuvor heimgekommen, er ließ die beiden Männer ins Haus. Als Schultze und Gröbel stellten sie sich vor und erklärten etwas umständlich, es handle sich um eine landesweite Ermittlung, deshalb habe das LKA Düsseldorf die Leitung übernommen.
Sie legten Marlene einige Fotos vor. Passbilder, um genau zu sein, in aller Eile von Meldeämtern und ein paar Freiwilligen beschafft. Erkennungsdienstlich behandelt worden war der Mann, der sich nach der Lesung in
Annettes Bücherstube
Fischer genannt hatte, bisher noch nie. Marlene erkannte ihn auf Anhieb.
«Er heißt Gerd Ammer», sagte Schultze. Und Gröbel wollte wissen: «Wie oft haben Sie sich mit diesem Mann getroffen?»
«Getroffen habe ich ihn nur einmal», antwortete Marlene mit raschem Seitenblick auf Werner. Erleichtert, weil sie ihm schon davon erzählt hatte, berichtete sie der Reihe nach.
Werner war nur an einem interessiert: «Haben Sie den Kerl festgenommen?»
Hatten sie nicht. Noch nicht, aber das sei nur eine Frage der Zeit, betonte Gröbel. Die bundesweite Fahndung war noch am vergangenen Abend eingeleitet worden.
«Von seiner Mutter, Gerdamarie Ammer, fehlt auch jede Spur», ergänzte Schultze und räumte damit indirekt ein, dass sie keine Ahnung hatten, wo Gerd Ammer sich derzeit aufhalten könnte. Aber sie hatten in der kurzen Zeit schon eine Menge in Erfahrung gebracht.
Offiziell war Gerdamarie Ammer ein Pflegefall. Vor rund zehn Jahren sollte sie einen Schlaganfall erlitten haben und in einer Pflegeeinrichtung untergebracht worden sein. Das hatte ihr Sohn der damaligen Nachbarschaft erzählt, als er sein Elternhaus in Siegburg verkaufte, um mit dem Erlös angeblich die Heimkosten zu finanzieren.
An seinem damaligen Arbeitsplatz – er volontierte bei einer Tageszeitung – hatte er eine andere Geschichte zum Besten gegeben. Schlaganfall ja, Pflegefall ja, aber keine Unterbringung in einem kostspieligen Heim. Das würde alles verschlingen, wofür sein Vater – Gott hab ihn selig – geschuftet hätte. Er wolle seineMutter selbst pflegen, das große Elternhaus mit Treppe verkaufen und einen Bungalow in ländlicher Gegend erwerben.
Pflegegeld oder irgendwelche Hilfsmittel hatte er nie beantragt. Und statt eines Bungalows hatte er – angeblich im Auftrag seiner Mutter und ausgestattet mit entsprechenden Vollmachten – das Häuschen auf Flurstück drei gekauft.
Das Telefon im Schlafzimmer hatte ursprünglich wohl dem Zweck gedient, die Legende von der ans Bett gefesselten Frau zu stützen. Man hatte alte Tonbandkassetten mit Aufnahmen einer Frauenstimme gefunden, die in weinerlichem Ton erzählte, wie schlecht es ihr ging und wie lieb Gerd sich um sie kümmere.
Dass Gerdamarie Ammer einmal leibhaftig in den Handapparat gesprochen hätte, wurde bezweifelt. Zu Gesicht bekommen hatte sie seit rund zehn Jahren niemand, auch kein Arzt, was bei einer pflegebedürftigen Frau nicht nur als ungewöhnlich, sondern als alarmierend zu bezeichnen war.
Ihre stattliche Witwen- und Unfallrente wurde auf ein Konto bei der Sparkasse Euskirchen überwiesen. Das Konto wurde online geführt, die Post in ein Postfach sortiert, wofür die Zustellerin dankbar war, sie musste jedenfalls nicht für jedes Reklameschreiben
Weitere Kostenlose Bücher