Der Frauenjäger
Route durch die Wüste. Doch fürs Erste reichte ihr das. So etwas tat man sich nicht freiwillig an, wenn man schon überlegthatte, ob der Staubsaugerschlauch aufs Auspuffrohr passte. Darüber hinaus war sie mit der bedauernswerten Ulla, die nicht bedauert werden wollte, und dem einbeinigen Thomas im Hinterkopf nicht in der Stimmung, sich auf das Elend einer Unbekannten einzulassen.
Sie brachte das Buch zurück ins Wohnzimmer, legte es oben auf den Stapel und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Aus ihrem üppig bestückten Kleiderschrank wählte sie den dunkelblauen Hosenanzug mit dezenten Nadelstreifen, den Werner so schick fand, dazu ein hellgraues Shirt aus Wildseide mit spitzenbesetztem Dekolleté. Dann ging sie ins Bad, um ihr Make-up zu erneuern und die Frisur aufzufrischen.
Zu guter Letzt packte sie den Inhalt ihrer braunen Alltagshandtasche in eine schwarze um, die zu den neuen Stiefeletten passte. Mit Ausnahme von zwei Portionstütchen Zucker und drei von Cellophan umhüllten Keksen – Beilagen zum Cappuccino vom Bäcker gegenüber der Bücherstube. So was steckte sie immer ein und vergaß oft, es sofort aus der Tasche zu nehmen.
Sie überlegte auch noch, ob sie die neue Steppjacke über den Blazer ziehen sollte. Aber es waren nur ein paar Schritte durch die frostige Luft. Wenn es in der Bücherstube voll werden sollte, müsste sie die Jacke auf dem Schoß halten oder in Annettes winzigem Büro unterbringen, wo es keine Möglichkeit gab, ein teures Kleidungsstück ordnungsgemäß aufzuhängen. Also verließ sie das Haus ohne die Jacke.
Beim Eingang zur Bücherstube stand ein Mann vom Sicherheitsdienst. Ob er aufpasste, dass nichts gestohlen wurde, oder ob er neugierig war, ließ sich nicht erkennen. Marlene tippte auf Neugier, normalerweise behielt Annette ihre Bücher selbst im Auge.
Die mittleren Regale waren zu den Seiten geschoben, die Klappstühle halbkreisförmig in drei Reihen vor einem Stehpultmit Leselampe und Wasserglas angeordnet. Neben der Kasse war ein Büchertisch aufgestellt, auf dem Annette zwanzig Exemplare von
Monas Tagebuch
so geschickt arrangiert hatte, dass sie nach der doppelten Menge aussahen.
Die kleinen Lautsprecherboxen, die sonst auf zwei Hängeschränken in Annettes Küche standen, hatten über den Kochbüchern Platz gefunden. Für den Verstärker und das Tapedeck hatten drei Dutzend Sachbücher weichen müssen. Vor der Belletristik baumelten Kabel.
Es war bereits Publikum da, sieben Frauen saßen in der letzten Stuhlreihe und hatten ihre dicken Jacken jeweils über eine Stuhllehne in der zweiten Reihe gelegt. Sie waren in unterschiedlichem Alter, aber einheitlich gekleidet, preiswert und praktisch. Die Jeans überwogen. Keine Frau sah aus, als hätte sie sich für die Veranstaltung besonders in Schale geworfen. Das war bei früheren Lesungen ein bisschen anders gewesen. Marlene fühlte sich in ihrem Anzug und dem edlen Shirt deplatziert.
Annette unterhielt sich vor der Tür zu ihrem Büro mit einer zierlichen Frau Ende dreißig, die ebenfalls Jeans, einen Rolli und einen Blazer trug und große Ähnlichkeit mit der Schwarzhaarigen auf dem Buchcover hatte. Sie war nur nicht so bleich und schmal. Von ihrer Schulter baumelte eine geräumige Umhängetasche. Langes braunes Haar war im Nacken mit einer Spange zusammengefasst, was ihr etwas Mädchenhaftes verlieh.
Johanna und Kirsten standen dabei und lauschten mit faszinierten Mienen. Marlene wollte nicht stören und sich schon zu den Frauen in die letzte Stuhlreihe setzen, als Annette sie bemerkte und heranwinkte. Also ging sie nach vorne.
Wie sie sich gedacht hatte, war die Braunhaarige Heidrun Merz. Annette stellte sie einander vor, bezeichnete Marlene als langjährige gute Freundin, was sie auch war. Doch den Hinweis, wie tief
Monas Tagebuch
Marlene berührt habe, hätte Annettesich getrost sparen können. Sie hatte doch gerade erst angefangen zu lesen und fühlte sich eher unangenehm berührt.
Glücklicherweise griff Heidrun Merz die Behauptung nicht auf, um sich nach ihrer Beurteilung zu erkundigen. Die Autorin wollte vielmehr von Annette wissen, ob jemand von der Presse zu erwarten sei. Annette wurde – wenn möglich – noch nervöser als am frühen Nachmittag. Sie schielte mit einem Auge zu den sieben Frauen in der letzten Stuhlreihe, mit dem anderen an dem Uniformierten vorbei hinaus auf den breiten Gang zwischen den Shops.
Es herrschte der typische Feierabendverkehr im Center. Hin und wieder blieb
Weitere Kostenlose Bücher