Der Frauenjäger
Fotoapparat vors Gesicht und drückte mehrfach auf den Auslöser. Er fotografierte nicht nur Heidrun Merz, auch das Publikum. Dann setzte er sich wieder, legte den Apparat in seinen Schoß und warf einen Blick auf seinen mit undefinierbaren Kringeln gefüllten Notizblock. Er schien ebenfalls Fragen zu haben, doch ehe er eine stellen konnte, ergriff Karola das Wort.
Sie bedankte sich bei Heidrun Merz für die bewegenden Einblicke in die Seele einer gebrochenen Frau, vergaß auch den Dank an Annette nicht, deren unermüdlicher Einsatz diesen Abend ermöglicht hatte. Wie Karola mit Worten umging und welche Formulierungen sie zusammenstellte, fand Marlene wie so oft bewundernswert. Sie hätte das nicht gekonnt, aber sie saß auch nicht sechsmal die Woche vor einem Mikrophon.
Man hätte dem Buch jedoch einen entschieden größeren Kreis von Zuhörerinnen gewünscht, meinte Karola und war damit bereits bei ihrer nächsten Sendung und der Einschaltquote. Sie verstummte erst, als Annette ihr das Sektglas noch einmal mit Schwung füllte und einen Schwall auf die Bluse kippte.
«Och», sagte Annette. «Das tut mir aber leid. Am besten wäschst du das sofort aus, sonst gibt es Flecken.»
Dann rief sie dem Wachmann bei der Tür zu: «Sind Sie so nett und begleiten Frau Jäger in den Waschraum?»
Was blieb ihm anderes übrig? Zusammen mit Karola ging der Wachmann hinaus.
Kaum waren beide außer Sichtweite, zog der Mann neben Marlene ein abgegriffenes Exemplar des Buchs aus einer Tasche am rechten Unterschenkel seiner Cargohose und wandte sich an Heidrun Merz: «Sie sprachen eingangs so, als gäbe es im Tagebuch Ihrer Schwester Hinweise auf die Identität des Mannes,der für ihr Verschwinden verantwortlich sein soll. Ich habe keine Hinweise gefunden, auch keinen Verweis auf die Agentur Sirius, habe ich etwas übersehen?»
Heidrun Merz zuckte merklich zusammen. Sie wechselte sogar die Farbe und schluckte trocken, ehe sie zu ihrem Wasserglas griff. «Nein», antwortete sie dann. «Ich wollte keine Fahndungsakte veröffentlichen.»
Der Mann nickte verstehend. «Aber es geht Ihnen doch in erster Linie darum, Frauen in ähnlicher Situation zu warnen. Oder sehe ich das falsch?»
«Nein», sagte Heidrun Merz wieder. «Das sehen Sie richtig.»
«Dann wäre eine Personenbeschreibung doch nützlich, wenn Sie schon nicht mit einem Namen aufwarten können oder wollen», hielt der Mann dagegen. «Sonst muss zwangsläufig der Eindruck entstehen, dass Sie aus einer Affäre Kapital schlagen wollen, falls Ihre Schwester tatsächlich einen gefährlichen Liebhaber hatte. Im
Generalanzeiger
wurde das bezweifelt. Da hieß es, ich zitiere wörtlich:
Mona T. führte ein parasitäres Dasein. Und Parasiten werden in der Regel von ihren Wirten ausgemerzt
. Wie äußern Sie sich dazu?»
Ausgemerzt
klang in Marlenes Ohren wie eine Anspielung auf den Namen der Autorin. So war es wohl auch gemeint.
«Zu Unverschämtheiten äußere ich mich nie», entgegnete diese und fügte ein fragendes «Herr» an.
«Fischer», antwortete der Mann, warf noch einen Blick auf seine Kringel und schoss weitere Fragen ab wie spitze Pfeile: «Trifft es zu, dass Sie Zugang zu einem Tonstudio haben? Entspricht es den Tatsachen, dass Ihr Schwager in Madrid war, kurz bevor ihm das Tonband mit dem entsprechenden Poststempel zugestellt wurde? Er wurde von der Polizei verdächtigt, für das Verschwinden seiner Frau verantwortlich zu sein, nicht wahr? Und stimmt es, dass Sie seitdem mit Josch Thalmann zusammenleben?»
Statt auch nur eine dieser Fragen zu beantworten, erkundigte Heidrun Merz sich mit ausdrucksloser Miene: «Haben Sie das auch im
Generalanzeiger
gelesen, Herr Fischer? Oder vertreten Sie hier die ungedruckten Ansichten Ihrer Kollegen?»
Fischer lächelte und hob sein abgegriffenes Buch. «Auf Seite hundertzweiundsechzig ist die Rede von einer Laboruntersuchung. Dass es sich um ein Polizeilabor handelt, ist nicht erwähnt. Darf ich fragen, wer diese Untersuchung vorgenommen hat und mit welchem Ergebnis?»
Heidrun Merz erwiderte sein Lächeln. «Natürlich dürfen Sie. Aber vielleicht hat hier sonst noch jemand eine Frage.» Auskunft geben wollte sie ihm offenbar nicht. Ihre Augen wanderten zur letzten Stuhlreihe, dort regte sich nichts. Schließlich heftete sie den Blick beinahe flehentlich auf Marlene.
Zum Teufel mit der Peinlichkeit. Parasitäres Dasein! Der Ausdruck schüttelte Marlene und machte die Fragen, was es mit der Agentur Sirius auf sich haben
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