Der Frauenjäger
lassen, und nahm es mit staubtrockenen, eingerissenen Lippen aus der Umhüllung, als diese weit genug offen war.
Pfefferminz. Irgendwo in ihrem Hinterkopf sagte Ulla: «Die sind lecker.» Und tatsächlich hatte sie etwas so Köstliches noch nie im Mund gehabt. Es schabte den säuerlich beißenden Belag von der Zunge, machte sogar die Nase frei und kleidete die heiser gebrüllte, kratzige Kehle wie mit einem Schmierfilm aus.
Nachdem sie sekundenlang gelutscht und zweimal geschluckt hatte, fühlte sie sich insgesamt etwas besser. Sogar die Kopfschmerzen schienen abzuklingen. Sie zog das Zündholzbriefchen aus der anderen Tasche. Es enthielt nur noch sieben Hölzchen, wie sie mit von der Kälte steifen und vom Steinchenwegwischen rauen Fingern abzählte. Und genau genommen war es kein Holz, sondern gepresste Pappe.
Es kostete sie ein wenig Überwindung, eins abzureißen und die Reibefläche zu ertasten. Es kostete sie viel Überwindung, das Köpfchen zügig über diese Fläche zu streichen. Ihr Herz schlug dabei fast zum Hals heraus. Vor Anspannung hielt sie die Luft an. Jetzt würde sich zeigen, ob ihre Augen …
Es zeigte sich nichts.
Manchmal hörte man es, wenn so ein Hölzchen aufflammte. Doch solange Marianne Faithfull sang …
Brannte es nun? Oder brannte es nicht?
Es gab nur eine Möglichkeit, das festzustellen.
Weil sie in der linken Hand das Zündholzbriefchen hielt und nicht riskieren wollte, dass alle auf einmal abbrannten, sobald die Flamme ihnen zu nahe kam, hob sie die rechte Hand mit dem Pappstreifen langsam zum Kinn. Bloß nicht zu weit in Richtung Haare, wenn die Feuer fingen … Sie spürte keine Hitze, es wurde nicht mal warm.
Mit dem zweiten Versuch wartete sie, bis Marianne wieder Pause machte. Dann hörte sie zwar das Ratschen des Köpfchens über die Reibefläche. Aber hell wurde es nicht. War das Briefchen etwa feucht? Wie sollte sie das mit klammen Fingern feststellen?
Und noch einmal.
In ihrem Bauch rumorte bereits die nächste Welle Angst und maßlose Enttäuschung, als das Köpfchen beim vierten Versuch doch noch aufloderte und ihr ein völlig unangebrachtes «Gott sei Dank» entlockte. Blind war sie also wirklich nicht, sah die Flamme deutlich, musste sogar blinzeln, weil ihre Pupillen sich in der absoluten Finsternis extrem geweitet hatten.
Als Erstes hielt sie ihr linkes Handgelenk unter das Hölzchen, um das Zifferblatt ihrer Armbanduhr abzulesen. Zehn nach drei. Damit war ihr nicht geholfen, es konnte Nacht oder Nachmittag sein. Als sie den brennenden Pappstreifen hochhielt, nahm sie auf dem Zündholzbriefchen noch eine stilisierte Kaffeetasse wahr. Dann führte sie die Hand langsam in die Runde und schluchzte wieder auf. Es war nicht mehr zu sehen als das, was sie bisher gefühlt hatte: Steine, Staub und Schwärze.
13. Januar 2010 – Mittwochabend
Den Tisch hatte Annette beim Italiener bestellt, dorthin führte sie die Autoren immer. Allzu viel Auswahl an Speiselokalen bot die Stadt nicht. Zweimal gutbürgerliche Küche mit Kneipenbetrieb, damit hinterließ man keinen guten Eindruck bei gebildeten Menschen. Zwei preiswerte Chinesen, nur vertrug Annette kein halbes Pfund Glutamat im Chopsuey. Es gab noch einen Griechen, der war etwas teurer und viel zu fettig. Im Gegensatz zu Karola kämpfte Annette ständig mit ihren Pfunden und mehr noch gegen die ihres Mannes.
Der Italiener lag preislich im Mittelfeld und genoss einen ausgezeichneten Ruf, obwohl er auch nicht kalorienarm kochte. Marlene hatte keine Probleme mit ihrer Figur, weil sie die halbe Zeit keinen Appetit oder keine Lust hatte, für sich alleine etwas zu kochen. Zwei, drei Toasts mit Wurst oder Käse über den Tag verteilt, zwischendurch mal einen Apfel oder ein Joghurt, reichten ihr.
Vor der Tür traf sie mit den anderen zusammen. Im Lokal wartete man bereits auf sie. Binnen weniger Minuten waren sie alle mit Getränken und Speisekarten versorgt. Und das, obwohl man noch einen zweiten Tisch für Karola und deren Töchter anstellen musste.
Karola hatte von dem Geplänkel mit Fischer auf dem Parkplatz nichts mitbekommen und kam umgehend zur Sache. Sie wollte ihre Sendung am nächsten Vormittag um ein brisantes Thema bereichern. Das Buch noch einmal vorzustellen und etwas über die spannungsgeladene Atmosphäre in
Annettes Bücherstube
zu erzählen war eine Sache. Die Schwester einer Frau, die einem sadistisch veranlagten Psychopathen auf den Leim gegangen und einem scheußlichen Verbrechen zum
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