Der Frauenjäger
dem Bürostuhl nieder, drückte sich den Kopfhörer gegen ein Ohr, legte die rechte Hand auf einen der Schieberegler, hob den linken Arm, erkundigte sich bei Marlene: «Nervös?», und sagte im gleichen Atemzug: «Musst du nicht sein. Sprich ganz normal. Die Vorstellung übernehme ich. Dann erzählst du ein bisschen …»
Es herrschte immer noch ein ziemliches Durcheinander in Marlenes Kopf. Aber die nüchterne Atmosphäre zeigte Wirkung. Sie fühlte sich hereingelegt und überrumpelt und wurde heftig. «Ich kann nichts erzählen. Ich habe das Buch noch gar nicht gelesen.»
Karola reagierte nicht sofort darauf, ihre Hand verschob den Regler, ihr Arm fuhr ruckartig nach unten. Es sah aus wie ein Beilhieb, das sollte es wohl auch darstellen. Aus dem Kopfhörer drang gedämpft eine muntere Männerstimme mit dem Hinweis: «Radiotreff.»
«Mit Karola Jäger, einen schönen guten Morgen», sagte Karola und zog den Regler wieder zurück. Dann starrte sie Marlene ungläubig an. «Warum nicht?»
Sie begriff wohl sofort, dass eine Antwort auf die Frage ihnen im Augenblick nicht weiterhalf, beugte sich zum Pressesprecher der Polizei hinüber, sagte: «Sie gestatten, Herr Kolber», zog ihm das Buch aus den Händen und hielt es Marlene hin mit den Worten: «Seite zweiundfünfzig, achtundsiebzig und hundertneun. Flieg kurz drüber, du hast vier Minuten.»
«So schnell kann ich nicht lesen», protestierte Marlene.
«Fang an», kommandierte Karola und wandte sich wieder an Manfred Kolber. «Ich denke, Sie sind einverstanden, wenn ich einen Aufruf mache. Vielleicht gibt es Zeugen für die anderthalb Stunden, die wir uns nicht erklären können.»
Er zuckte gleichmütig oder ergeben mit den Achseln.
Es drängte Marlene, aufzustehen und das Studio zu verlassen. Aber zwischen ihr und der Tür saß der Athlet in Uniform.Und als sie das Büchlein nahm, klappte es von selbst auseinander an der Stelle, an der er seinen Finger zwischen die Seiten gehalten hatte. Hundertzehn und hundertelf lauteten die Seitenzahlen.
Seite hundertzehn begann mit dem letzten Teil eines Satzes:
«… wissen müssen, warum er das Verdeck geöffnet hatte.»
Sie blätterte erst gar nicht zurück. Der nächste vollständige Satz machte ihr klar, dass es sich um die Sache auf der Autobahn handeln musste. Nach dem ersten Absatz glühte ihr Gesicht vor Peinlichkeit. So etwas las man nicht in Gegenwart von Leuten, die man als Autoritätspersonen einstufte, bestimmt nicht, wenn so eine Autoritätsperson kurz zuvor dasselbe gelesen hatte und deshalb genau wusste, was man sich zu Gemüte führte.
Mona und ihr Liebhaber waren nicht als Geisterfahrer unterwegs gewesen oder auf einer Autobahn spazieren gegangen. Sie hatten sich während der Fahrt gegenseitig befriedigt! In Monas Cabrio! Bei offenem Verdeck! Während sie eine endlose Schlange von Lastwagen überholten, deren Fahrer alle zu ihnen hinuntergafften und Stielaugen bekamen.
Der perverse Kerl steuerte mit einer Hand das Auto, befummelte Mona mit der anderen Hand und erzählte ihr dabei, wie Menschen schrien, wenn sie bei lebendigem Leib verbrannten. Dann verlangte er, sie solle den Fahrer eines Flüssiggastransporters – er nannte ihn Bruder, für ihn waren alle Männer Brüder – so ablenken, dass der Mann die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und alles in Flammen aufging. Hinter ihnen wohlgemerkt. Der Typ wollte nicht selbst draufgehen, drosselte eigens das Tempo, um sich nach vorne ein Stück weit freie Fahrt für die Flucht zu verschaffen, während Mona ihren Gurt löste, sich über seinen Schoß beugte und tat wie befohlen. Aber die entstehende Lücke nutzte dann ein anderer Lkw, um zu überholen.
Das waren aberwitzige Spielchen! Anders konnte man das garnicht bezeichnen. Und das in einem Jargon … Für Marlene war es übelste Pornographie. Vielleicht war sie ein bisschen prüder als andere. Aber sogar Mona hatte ihrem Tagebuch anvertraut:
Seine Ausdrucksweise störte mich, wie sie mich immer stört. Doch ich will nicht leugnen, dass sie mich auch aufs Neue erregte. Das tut sie jedes Mal. Und er weiß das. Ich fühlte wieder seine Hand zwischen meinen Schenkeln und die gierigen Blicke seiner Brüder auf meinem Fleisch. Und ich fühlte meinen Herzschlag, mein Leben.
Warum fühle ich bei Josch nichts mehr in dieser Art? Wenn er mit mir schläft, bin ich innerlich tot. Es kann doch nicht sein, dass man die Angst braucht, um existieren zu können.
Natürlich habe ich Angst. Vor jedem
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