Der Frauenjäger
neuen Rendezvous frage ich mich: Und wenn er mich nicht belügt, wenn er nicht nur prahlt mit Untaten, die er gar nicht begangen hat? Wenn tatsächlich schon vier Frauen durch seine Hand gestorben sind? Ich begreife nicht, was mit mir geschieht. Warum lasse ich mich wieder und wieder auf dieses Scheusal ein?
Berechtigte Frage, fand Marlene und blätterte nun doch zurück. Seite hundertneun enthielt die Raststättenepisode. Das Scheusal kam mit einem Motorrad. Deshalb mussten sie für die gemeinsame Tour Monas Cabrio nehmen. Und ehe er auf dem Parkplatz das Verdeck herunterließ, trieb er es mit Mona im Waschraum der Damentoilette. Während unmittelbar neben ihnen eine junge Mutter einem Kleinkind die Hände wusch und so tat, als sei sie blind und taub. Die Ausdrucksweise war im Vergleich zu dem Autobahnstück harmlos, obwohl Mona einige der verbalen Attacken wiedergab, mit denen der Kerl die junge Mutter aus der Reserve locken wollte.
Nummer neun
Eine Höhle also! Und wo – verdammt – kam die Musik her? Das mochte eine nebensächliche Frage sein, aber es war eine, auf die Marlene schnell eine Antwort fand. Im Geist sah sie den handlichen, kleinen Kassettenrekorder vor sich, den sie als Kind besessen hatte. Märchen hatte sie damit gehört, später auch Schlager, und im Duett mit Ulla Abba-Songs aufgenommen:
Money, Money, Money, Waterloo, Fernando
und
I Have a Dream
.
Der Rekorder hatte ein eingebautes Mikrophon gehabt und – was in einer Umgebung wie dieser noch wichtiger war: Sie hatte das Schätzchen mit vier Batterien unabhängig von einem Stromnetz betreiben können. Eine Höhle war schließlich kein Wohnzimmer, wo man an jeder Wand eine Steckdose fand.
Es kam ihr so vor, als hätte sie soeben ein lebenswichtiges Rätsel gelöst. Aus ihrer Sicht war es sogar überlebenswichtig, weil es sich vortrefflich in den «Denkzettel für eine undankbare Ehefrau» einfügte.
Ein batteriebetriebener Kassettenrekorder! Natürlich hätte so ein kleiner wie der ihre mit entsprechend mickrigem Lautsprecher keine unterirdische Halle beschallen können. Aber es gab ja auch große. Und nicht alle mussten an Verstärker angeschlossen werden wie das Tapedeck aus Christophs Multimediaanlage.
Anfang Dezember hatte Leonard bei Amazon einen sogenannten Ghettoblaster entdeckt und ihr gezeigt.
«Guck mal, Mama, damit kann man CDs, MP 3-Dateien und sogar deine alten Kassetten abspielen. Das ist was anderes als dein olles Küchenradio. Den könntest du richtig aufdrehen.»
Dass er tatsächlich versuchte, ihr so ein Gerät schmackhaft zu machen, hatte Marlene bezweifelt. Es stand eher zu vermuten, dass er gerne einen Ghettoblaster zu Weihnachtenbekommen hätte. Werner hatte das genauso gesehen und einen gekauft. Eine Leistung von achthundert Watt sollte das Ding haben. Selbstverständlich durfte Leonard es im Haus nicht voll aufdrehen. Werner wollte keinen Krach mit den Nachbarn.
Aber auch achthundert Watt wurden in entsprechender Entfernung zu leiser Hintergrundmusik. Wie weit mochte sie gekrochen sein? Auch wenn sie nur wie eine Schnecke vorankam, sie kroch schon sehr lange, mindestens zwei, drei Stunden, schätzte sie.
Einmal hin, einmal her, rundherum, das ist nicht schwer.
Vielleicht hundert Meter insgesamt? Oder hundertfünfzig? Hundert hin, fünfzig zurück?
Sie hatte sich noch nie hundert Meter von einem richtig aufgedrehten Ghettoblaster entfernt aufgehalten und keine Ahnung, aus welcher Distanz man die Musik noch wie laut hörte. Von ihrem Küchenradio hörte sie kaum noch etwas, wenn sie nur in die Diele ging. Doch das war auch nie richtig aufgedreht, und da war dann eine Wand dazwischen. Hier unten mochten die akustischen Verhältnisse völlig anders sein.
Sie überlegte, ob sie noch ein Bonbon gegen den quälenden Durst lutschen oder noch ein Zündholz riskieren sollte, um Ausschau nach dem Ghettoblaster zu halten. Aber im Umkreis von drei, vier Metern stand der garantiert nicht. Und bei allem, was weiter entfernt war, richtete so ein winziges Flämmchen nichts aus, wie sich ja bereits gezeigt hatte. Dabei wäre es so wichtig, Marianne das Maul zu stopfen. Endlich Ruhe haben, in die Schwärze horchen. Und wenn es dann immer noch rauschte, musste es Wasser sein.
Es gab Wasser unter der Erde! Sogar sehr viel Wasser, hatte Andreas in Zusammenhang mit den Höhlen erzählt, in denen er sich umgetan hatte. Unterirdische Quellen, die aus Ritzen im Fels brachen, aus denen das reinste Wasser sprudelte, das man sich
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