Der Frauenjäger
Marlene nicht vergessen. Er fiel auch jetzt wieder und verstärkte ihre Erinnerung.
Monatelang hatte Karola damals kein anderes Thema gehabt. «Wieso glaubt die Polizei dem Biest so unbesehen, dass sie nichts mit Andreas hatte und nicht mit ihm unterwegs war? Die sollten sich mal mit Barbaras Mann unterhalten. Aber nein! Angeblich ist der krankhaft eifersüchtig. Den darf man nicht ernst nehmen.»
Während sie ihrer Erinnerung nachhing, setzte Karola dem Polizeisprecher weiter zu. Der arme Mann bemühte sich redlich, sich und seine Kollegen zu rehabilitieren, bis Karola den Arm hob. Als der wieder herabsauste, setzte Manfred Kolber sich mit einem vernehmlichen Seufzer zurück auf seinen Stuhl.
Nun kamen die angekündigten Fragen an Marlene. Sie war wieder Frau Weißkirchen und hatte keine Antworten bis auf eine stille Wohnung, Schadow Arkaden, ein hungriges Krokodil, eine durstige Gazelle, ein Parkhaus und ein Motorrad mit einem schwarzen Mann im Rückspiegel.
In ihrem Hinterkopf sang Herbert Grönemeyer: «Männer sind etwas sonderbar», und legte ihr die ersten Worte auf die Zunge. Aberwitzige Spielchen waren auch sonderbar. Und es mochte sehr sonderbar erscheinen, wenn eine Frau sich ohne Not darauf einließ. Doch darüber wollte sie nicht reden, kein Wort über die Raststättenepisode und die Sache auf der Autobahn.
«Viele werden Mona kaum verstehen», begann sie. «Aber ich bin sicher, dass einige, auch einige Männer nachvollziehen können, wie ihr zumute war, wenn sie daheim saß und nichts zu tun hatte. Kein Mensch erträgt es auf Dauer, überflüssig zu sein.»
Karola hob anerkennend einen Daumen und signalisierte mit gewichtig zufriedener Miene, das sei ein guter Einstieg. Manfred Kolber zupfte an den Beinen seiner Uniformhose herum und vermied es, Marlene auch nur mit einem Blick zu streifen.
«In einem Presseartikel wurde Mona ein parasitäres Dasein nachgesagt», fuhr sie fort. «Arbeitslose und Hartz-I V-Empfänger werden auch häufig als Schmarotzer betitelt und wehren sich oft dagegen. Natürlich gibt es Parasiten, denen es nichts ausmacht, auf Kosten anderer zu leben. Aber die große Mehrheit der Menschen möchte Leistung bringen und Anerkennung ernten. Davon leben wir. Wir brauchen das Gefühl, dass man uns braucht. Wem das versagt wird, der geht seelisch zugrunde. In genau dieser Situation war Mona. Rein äußerlich fehlte es ihr an nichts.»
Karola ließ sie reden und gab Manfred Kolber irgendwelche Zeichen. Der kramte in den Taschen seiner Uniformjacke, zogeinen Notizblock und einen Stift heraus und reichte Karola beides. Die kritzelte eilig etwas und hielt Marlene den Zettel hin.
Sie konnte es nicht entziffern und sprach noch ein paar Sätze. Dann nutzte Karola eine Atempause, um Musik anzukündigen, und sagte anschließend: «Du machst das großartig, aber bring nicht zu viel Theorie rein.»
Mit dem nächsten Satz wandte sie sich an Manfred Kolber: «Vergessen wir meinen Mann, was ist mit anderen Fällen?»
«Aus dem Stegreif fällt mir nur die alte Dame ein, die vor sechs Wochen …», begann er.
Karola winkte ab und unterbrach ihn damit. «Eine Alzheimer-Patientin passt hier kaum. Was ist mit jüngeren Frauen?»
«Wenn Anzeichen für eine Straftat fehlen, nimmt das seinen üblichen Weg», erklärte Manfred Kolber nun mit einer gewissen Schärfe. «Das wissen Sie doch, Frau Jäger. Wir tun eine Menge, auch bei Erwachsenen. Bleiben wir bei der alten Dame, sie wird ja immer noch vermisst. Wir haben die Presse eingeschaltet. Ich habe es fast jeden Morgen im Polizeibericht angesprochen. Und es wäre mir lieb gewesen, Sie hätten auch ein paar Sätze in Ihrer Sendung gebracht. Vielleicht hätten wir die Ärmste dann rechtzeitig aufgespürt. Jetzt habe ich keine Hoffnung mehr, dass wir sie noch lebend finden. Und ich habe nicht die Zeit, den Leuten da draußen drei Stunden lang Märchen zu erzählen.»
Er schaute Marlene an und stieß einen verächtlich klingenden Laut aus. «Eine gute Freundin von Heidrun Merz. Und Sie reden, als hätten Sie Mona Thalmann persönlich gekannt. Dabei hatten Sie bei Ihrer Ankunft hier noch keine Ahnung vom Leben dieser Frau. Aber in der heutigen Zeit muss man flexibel sein, nicht wahr? Wenn man nicht ins Fernsehen kommt, dann wenigstens mal ins Radio. Haben Sie nichts Besseres zu tun?»
«Leg noch einen drauf, Heiko», sagte Karola rasch ins Mikro. «Moment, Herr Kolber.»
Doch er war bereits an der Tür und ließ sich nicht aufhalten.«Ich werde
Weitere Kostenlose Bücher