Der Frauenjäger
alle Fachwerkstätten aufsuchte. Warum sollte nicht irgendein Arbeitskollege Ulli zu ihr sagen, wie es früher nur Andreas getan hatte? Vielleicht hatte der Mann in der Werkhalle es vor Jahren von Andreas gehört.
Ulla betrachtete sie, als warte sie nur auf die bewusste Frage. Marlene konnte diesem Blick nicht länger standhalten und senkte den Kopf. Ein Fehler, wie sich sofort zeigte, denn nun sprudelten die chaotischen Gedanken in unsortierten Bruchstücken über ihre Lippen: «Sie ist tot und hinterlässt einen dreijährigen Sohn. Ihr Freund, der Vater des Jungen, hat sich …» Weil sie nicht wusste, wie sie einen pikanten Unfall mit Todesfolge umschreiben sollte, strich sie sich mit einer Handkante über die Kehle, wie Karola es mittags getan hatte, und fuhr fort: «Da war sie schwanger und hatte deshalb keine Nerven für Monas abartige Spielchen.»
Ulla runzelte die Stirn. In den trüben Blick mischte sich Verwirrung. Marlene sprach schnell weiter: «Sie wohnte zwar inzwischen mit ihrem Schwager zusammen. Aber Josch wird sich kaum um ein kleines Kind kümmern können. Er ist jadie meiste Zeit in der Luft. Karola meinte, der Junge muss ins Heim.»
«Was redest du da?», fragte Ulla verständnislos. «Wer ist tot? Wer ist Josch?»
«Pilot bei der Lufthansa», erklärte Marlene. «Der Schwager von Heidrun Merz, die
Monas Tagebuch
geschrieben hat. Aber nur eine stark gekürzte Fassung der Originalkladden. Die konnte sie nicht veröffentlichen. Gestern Abend war sie damit bei Annette.»
«Und was hat das mit Karola zu tun?», wollte Ulla wissen.
«Ihre Kelleraußentür ist kaputt», sagte Marlene und schielte zur Werkhalle hinüber. «Es sieht aus, als sei jemand eingebrochen, aber gestohlen oder durchwühlt wurde nichts.»
«Aha», sagte Ulla. «Dann frage ich mal anders. Was hat Karola mit einem Piloten der Lufthansa und der Autorin von diesem Tagebuch zu tun?»
«Sie hätte Frau Merz gerne in ihrer Sendung gehabt», erklärte Marlene. «Frau Merz wäre auch gekommen, wenn der Mann vom BKA zugesagt hätte. Um den braucht Karola sich jetzt aber nicht mehr zu bemühen. Sie hat sich dreimal überschlagen. Es hat über eine Stunde gedauert, sie aus dem Wrack zu schweißen.»
«Karola hatte einen Unfall?» Ulla klang ehrlich entsetzt.
«Nein, Frau Merz», stellte Marlene richtig. «Heute Morgen ist sie an ihren Verletzungen gestorben. Wir waren noch mit ihr essen. Sie hat anderthalb Stunden gebraucht vom Italiener bis zur Kiesgrube. Das sind nur vier Kilometer, Ulla. Und sie war vollkommen nüchtern. Ich habe gesehen, was sie getrunken hat. Mineralwasser und einen Schluck Sekt, nur einen winzigen Schluck. Sie kann nicht total besoffen gewesen sein. Warum erzählt er dir so etwas? Hat er im April vor seinem Verschwinden ein paar Tage freigenommen? Seit wann ist er wieder hier?»
Ulla nickte verstehend. «Ich glaube, es ist besser, wenn ichdich heimfahre. Gib mir den Autoschlüssel und rühr dich nicht vom Fleck, bis ich meine Sachen aus dem Büro …»
«Ich brauche keinen, der mich fährt», erklärte Marlene bestimmt. «Ich bin okay.»
«Den Eindruck habe ich nicht», widersprach Ulla.
«Was für einen Eindruck hast du denn?» Sie wurde heftig. «Dass ich drei Chinesen brauche, die mich nach Hause tragen? Dass ich Verzweiflung und Trostlosigkeit nicht buchstabieren kann? Oder dass ich zu dämlich bin, um ohne meinen treusorgenden Göttergatten etwas auf die Reihe zu bringen? Raus mit der Sprache, tu dir keinen Zwang an. Die anderen haben mir auch gesagt, was sie von mir halten. Aber ihr irrt euch. Ich bin nicht blöd.»
«Ich habe dich nie für blöd gehalten», sagte Ulla. «Momen tan scheinst du mir nur sehr durcheinander. Und wenn du so denkst, wie du sprichst, solltest du wirklich nicht mehr Auto fahren.»
«Bin ich zu kompliziert für dich?» Nun flüchtete Marlene sich in Ironie. «Gut, dann frage ich nochmal ganz simpel. Seit wann ist er zurück? Ist er bei Karola eingebrochen? Hat er Frau Merz von der Straße gedrängt und dabei sein Motorrad beschädigt?»
«Jetzt red doch keinen Unsinn!», fuhr Ulla auf. «Bei Karola eingebrochen! Es ist sein Haus, da muss er nicht einbrechen, wenn er reinwill. Er hat immer noch einen Schlüssel. Und mit dem Unfall dieser Frau Merz hat er garantiert nichts zu tun.»
«Karola meinte aber, er hätte ihr aufgelauert und sie gezwungen zu trinken.»
«Karola meinte», wiederholte Ulla und tippte sich bezeichnend an die Stirn.
Davon ließ Marlene sich
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