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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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sich unabweisbar zu Absender und Text ins Verhältnis setzt. Möglicherweise noch ein vorgestanzter Gruß, eine emphatische Zeile, die vorgibt, herzlich zu sein. Natürlich hätte ich Briefe schreiben können, aber ich hatte ihm nichts zu sagen.
    Daß ich mich nach ihm sehne. Sehnsucht habe. Ein zu unbestimmtes, löchriges Wort für einen gelegentlichen, einfachen Wunsch. Sehnsucht als Faden, der das Land zwischen uns mit einem Spinnennetz überzieht, gefühlsträchtig. An das die Einsamkeit ihre Opfer hängt, einklebt, aufdornt.
    Am zweiten Wochenende fuhr ich in ein Nachbardorf. Ich war von einem Zahnarzt eingeladen, der dort ein Sommerhaus besitzt und in Berlin an der Charité arbeitet. Ich lernte ihn vor Jahren hier kennen, ihn und seine jetzigeFrau. In Berlin telefonieren wir gelegentlich miteinander, verabreden uns auch, sehen uns aber nur im Urlaub.
    Fred stand in der Tür, als ich aus dem Wagen stieg. Wir küßten uns und gingen ins Haus. Wir tranken einen Aperitif und versicherten uns gegenseitig, wie gut wir aussähen. Er sprach mit lauter Stimme, er wirkte vergnügt. Als er mir nachgießen wollte, lehnte ich ab.
    Er redete unaufhörlich auf mich ein. Vielleicht freute er sich, daß ich gekommen war, vielleicht war er nur unruhig. Er trank viel und sprach über sein Haus, über Reparaturen am Dach: Zwanzig Bund Schilf hab ich bezahlt. Gebracht haben sie mir zwölf. Sie sagen, es war ein schlechter Winter. Weißt du, sie schneiden Schilf nur, wenn die See gefroren ist. Ich bin mal mitgegangen. Mit einer Sichel, immer dicht über dem Eis. Wenn es nicht zufriert, schneiden sie nichts.
    Er lag auf dem Sofa, die Beine auf meinem Sessel, und massierte fortwährend seine Finger: Außerdem macht das keiner mehr. Nur ein paar Alte. Und es geht reißend weg. Schilfdach, das ist unübertroffen.
    Er stieß mich mit der Schuhspitze an: Immer noch solo?
    Ich war verwirrt. Seine Frage kam überraschend, und ich sagte: Ja. Dann fügte ich schnell hinzu: So ziemlich.
    Meckernd lachte er und meinte zufrieden: Ich verstehe. Er warf mir einen schmierigen Blick zu, einen Blick voll von triefendem Einverständnis.
    So ziemlich, wiederholte er für sich. Dann trank er sein Glas aus und redete wieder über das Haus.
    Später kam Maria ins Zimmer, ging zur Anrichte und goß sich einen Schnaps ein. Wir schwiegen und sahen ihr zu. Fred betrachtete sie nervös und sagte dann: Claudia ist angekommen.
    Maria drehte sich nach mir um, nickte und murmelte einen Gruß. Mit dem Glas in der Hand verließ sie das Zimmer. Fred schloß die Augen und sagte müde: Sie ist eine dumme Gans, jedenfalls so ziemlich.
    Ich lachte, wußte aber nicht warum.
    Maria ist seine dritte Frau. Sie war, wie die vorhergehenden Ehefrauen, zuvor Sprechstundenhilfe bei ihm und mutmaßte jetzt, daß er sie mit der neuen Schwester betrog. Das jedenfalls behauptete Fred.
    Wir aßen in der Küche zu Mittag, einem großen Raum mit einem riesigen Fenster und Bauernmöbeln oder was man heute dafür hält. Hier auf den Dörfern hat keiner der Bauern solche Möbel. Sie wirken zierlich, und man sitzt auf ihnen nicht bequem.
    Es gab Fischfilet und pommes frites, beides aus der Tiefkühltruhe. Maria aß nichts. Sie saß am Tisch, rauchte ihre Zigaretten, eine nach der anderen, und sah uns zu.
    Erzähl was, forderte sie mich auf, erzähl einen Witz oder irgend etwas anderes.
    Ja, erzähl ihr einen Witz, meinte Fred freundlich, und erklär ihn ihr anschließend.
    Maria sah ausdruckslos auf ihre Zigarette. Sie schien nicht zuzuhören. Sie war blaß und wirkte müde. Vielleicht stand sie unter Drogen. Als sie bemerkte, daß ich sie anstarrte, fuhr sie mit der Hand durch ihr rötliches Haar und lächelte. Mir fielen ihre Fingernägel auf, ein brüchiges, ausgefranstes Rot auf grauem, abgebissenem Horn. Ich erinnerte mich an die Schulzeit: Ich war sechzehn oder siebzehn, als ich die Leute nach der Beschaffenheit ihrer Ohrläppchen und Fingernägel charakterisierte. Eine teuflische Manie, mit der ich Freundinnen auszeichnete oder zu Tränen trieb. Ein Spiel, dem ich selbst verfallen war, hilflos gegenüber seinen sich aller Logik und jeder Erfahrung entziehenden Begründungen. Und mit der Sicherheit und Arroganz jenes Alters entschied ich, bestimmte unwiderruflich, ordnete ich so meine kleine Welt. Ein dummes, ein böses Spiel, was richtete man an.
    Marias unsaubere, kindliche Fingernägel. Ich hatte Lust, ihr Haar zurückzustreichen, um ihre Ohrläppchen zu sehen.
    Fred bemerkte, daß

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