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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ist nicht schlecht. Nur zu jung.
    Die Freundin sah sie unzufrieden an, widersprach jedoch nicht. Sie schwiegen beide. Dann fragte Rotblond wieder: Aber irgend etwas muß er doch gesagt haben.
    Doch Blond antwortete nicht und heulte leise weiter.
    Henry stieß mich an. Er legte seine Hand auf meinen Bauch und sagte, daß er jetzt mit mir schlafen wolle. Ich schob seine Hand weg und sagte, daß ich losfahren müsse. Ich wollte vor der Mittagshitze an der See sein. Ich bezahlte, und wir standen auf.
    Beim Hinausgehen drehte ich mich nach den beiden Frauen um. Ich sah jetzt, daß Blond in ihren Haaren einen großen Schmetterling aus rotem Straß trug. Er baumelte an einer Haarsträhne neben ihrem rechten Auge. Ein glitzerndes Versprechen in ihrem mir namenlosen Unglück, das lächelnde und lächerliche Freudenfeuer Butterfly auf einem verfetteten Gesicht.
    Am Wagen küßten wir uns. Als ich abfuhr, sah er mir nach, die Hände in den Westentaschen.
    Wie in jedem Jahr verbrachte ich den Urlaub in einem Dorf am Achterwasser. Meine Wirtsleute waren Bauern. Im Dorf galt ich als Kusine der Frau, da die Einwohner keine Feriengäste aufnehmen dürfen. Ich hatte ein Zimmer im ersten Stock, eine Mansarde mit Bett und Schrank. Daß kein Sessel oder Stuhl im Zimmer stand, störte mich nicht. Im Urlaub gehe ich früh ins Bett.
    Manchmal saß ich am Abend mit Gertrud und Jochenzusammen, meinen Wirtsleuten. Sie erzählen gern von ihren Kindern. Sie haben zwei Töchter. Die jüngere arbeitet als Köchin in der Kreisstadt, und die ältere ist seit vorigem Herbst verheiratet. Sie lebt im Nachbardorf. Die Hochzeitsfeier hatte zwölftausend Mark gekostet, und die Gäste wurden mit zwei Bussen zur Kirche transportiert. Gertrud und Jochen erzählen viel von der Hochzeitsfeier.
    Meistens liege ich bereits im Bett, wenn die beiden ins Haus kommen. Neben ihrer Arbeit in der Genossenschaft haben sie noch ihre private Viehhaltung, Kühe, Schweine und Hühner. Deshalb müssen sie jeden Tag um fünf aufstehen und haben bis acht Uhr abends zu tun. Ich glaube, sie arbeiten des Geldes wegen so viel, aber genau weiß ich es nicht. Vielleicht können sie sich ein anderes Leben überhaupt nicht vorstellen. Ich fragte sie einmal, aber entweder verstanden sie meine Frage nicht, oder sie wollten nicht mit mir darüber sprechen. Es ist schließlich ihre Angelegenheit, und sie müssen mir nichts sagen. Es interessiert mich auch nicht. Wahrscheinlich fragte ich sie damals, weil es mir irgendwie absurd erschien. Aber sie sind ja mit ihrem Leben zufrieden, und manchmal beneide ich sie darum, um diese Zufriedenheit. Irgendwie ist es eine schöne Verrücktheit, so hart zu arbeiten und dann für die Hochzeit der Tochter so viel Geld auszugeben. Jedenfalls haben sie ihren Spaß daran und wollen nichts anderes.
    Früher half ich ihnen gelegentlich bei der Stallarbeit. Ich warf Strohbündel vom Stallboden herunter oder schnitt das Brot für die Hühner. Ich habe auch schon zusammen mit Gertrud den Hühnern die Flügel gestutzt. Aber die beiden haben es nicht gern, wenn ich ihnen helfe. Jochen sagte, daß sie die Arbeit gut allein schaffen würden, ich solle mich erholen. So mache ich mir abends nur mein Essen in der Küche und gehe dann auf mein Zimmer. Ich lese ein wenig, schlafe aber bald ein. An der See werde ich schnell müde.
    Tagsüber liege ich am Strand. Da im Dorf nur wenige Urlauber sind, Verwandte oder vorgebliche Verwandte wie ich, ist es am Achterwasser ruhig. Meistens liege ich ganz allein dort. Ein paar Halbwüchsige aus dem Dorf tauchen regelmäßig mit Motorrädern und Fahrrädern auf. Sie bleiben in einiger Entfernung von mir stehen und schauen zu mir herüber. Irgendwann fahren sie ab, kommen aber bald wieder.
    In den ersten Tagen hatte ich mich ohne Badeanzug gesonnt. Wahrscheinlich hofften sie, mich noch einmal nackt zu sehen. Die Schulferien sind so lang, und sie haben nichts weiter zu tun. Ich war ihr einziges Ereignis. Ich hätte mich gern weiter nackt gesonnt, doch im Dorf hätte es Ärger gegeben, den ich meinen Wirtsleuten ersparen wollte.
    An Henry schrieb ich zwei Ansichtskarten. Belanglose Mitteilungen über auswechselbare Gefühle. Ein dummer Text, der mir selbst unangenehm war. Ich fühlte mich nicht fähig, wirklich etwas mitzuteilen. Es sind bereits diese Ansichtskarten, die mich lähmen. Der zugeteilte Freiraum für die privaten Äußerungen, eine Nötigung zu analphabetischen Dreiwortsätzen. Dazu die retuschierte Fotografie, die

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