Der fremde Freund - Drachenblut
Seelenwehwehchen herhalten mußte. Kunst aber ist Anarchie. Sie ist die Peitsche der Gesellschaft. Die einzig gültige Ästhetik ist das Entsetzen, das Maß aller Kunst ist der gellende Schrei. Wir müssen zu Asozialen werden, um zu erkennen, was wir sind, woher wir kommen, wohin wir gehen. Der Dreck, das ist meine Botschaft für euch.
Das schöne Mädchen streichelte ihm den Kopf undlachte ihn an, wenn er zu ihr sah. Keiner widersprach ihm, was ihm mißfiel. Er wurde laut und beschimpfte Fred, der ihn beruhigen wollte. Sie einigten sich irgendwie und tranken Brüderschaft.
Ich setzte mich an den Kamin und beobachtete die Flammen. Mein Gesicht wurde heiß, es war mir angenehm. Einer von Freds Freunden setzte sich zu mir. Er bot mir eine Zigarette an und sprach über absterbende Meere, den Wärmetod der Erde und Folgen der Energieverknappung für Lateinamerika. Wie er sagte, war er Professor für Pluromediale Ästhetik und Kommunikation und lebte in Bochum. Ich war darüber erstaunt. Unter seinem Beruf konnte ich mir wenig vorstellen, hatte aber vermutet, er sei Vertreter oder Volksschullehrer. Er fragte mich nach meiner Arbeit und sprach dann über Akupunktur. Er war vielleicht fünfunddreißig, hatte hübsche regelmäßige Zähne und war sich auf eine angenehme Art seiner sicher. Mich irritierte sein überzeugend vorgetragenes Lächeln, das er beständig verströmte, als wolle er mich zu einem günstigen Kauf überreden.
Als Henry zu mir kam, stellte sich der Westdeutsche sehr förmlich vor. Er überreichte uns seine Visitenkarte und sagte, wie sympathisch wir ihm seien. Wir mußten ihn Horst nennen, und er versicherte uns, daß ihm alles hier gefalle. Er sagte, politisch gesehen sei er mittelinks und halte nichts von dem kapitalistischen System. Andererseits könne er nicht die vielen Fehler übersehen, die wir machten. Dann wollte er von Henry wissen, was er von der deutschen Frage halte. Henry sagte, er sei den ganzen Tag am Strand umhergelaufen und habe überall Sand auf der Haut. Er müsse sich heute unbedingt den Kopf waschen. Horst lachte herzlich darüber, sagte, daß Henry fabelhaft sei und er ihn gut verstehe. Dann wollte er wissen, was Henry beruflich mache. Ich stand auf und ging in die Küche.
Maria bereitete dort Eisbecher vor und Kaffee. Ich wollte ihr helfen, und sie bat mich, Gläser abzuwaschen. Ich fragte sie nach den Gästen, doch sie kannte sie nicht. Fred lud hier ständig Leute ein, er langweilte sich. Später sah man sich vielleicht noch einmal am Strand, das war alles. Nur der Maler besuchte sie häufig. Maria sagte, er sei ein unpraktischer Mensch, dem jedes nur mögliche Mißgeschick zustoße. Beständig fielen ihm Dinge aus der Hand und zerbrächen. Sie erzählte über ihn, und wir lachten viel. Wir verstanden uns gut.
Fred schaute in die Küche. Er wollte wissen, worüber wir reden. Maria sagte, er solle den Kaffee und die Eisbecher ins Zimmer bringen. Sie setzte sich und rauchte und sah mir zu, wie ich die Gläser abtrocknete.
Hast du es bemerkt? fragte sie. Ihre Stimme war gespannt und brüchig.
Was? fragte ich. Was soll ich bemerkt haben?
Mein Gesicht, sagte sie, sieh mich an, sieh dir mein Gesicht an.
Ich lächelte sie an: Gut, ich sehs. Es ist alles okay, Maria.
Ihre Augen wurden glasig. Sie glaubte mir nicht.
Es ist alles okay, wiederholte ich, du siehst gut aus.
Sie schüttelte langsam und energisch den Kopf, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Nein, sagte sie. Du mußt es doch sehen, ich sehe es ja auch.
Was soll ich sehen, Maria?
Ich weiß es nicht, antwortete sie und schwieg. Sie mißtraute mir. Ich wartete. Es schien mir das beste zu sein. Aus dem Wohnzimmer hörte ich Tanzmusik. Maria hielt ihren Kopf gesenkt und rauchte heftig.
Es ist nur, begann sie leise, ich glaube, ich magere ab. Meine Knochen treten hervor. Sieht das nicht aus wie ein Totenschädel?
Wieder hielt sie mir ihr Gesicht zur Begutachtung vor.Sie lächelte traurig, und ihre sanfte Haltung bezeugte, daß sie mehr als traurig war. Sie war verzweifelt.
Du redest dir was ein, Maria, es ist alles in Ordnung. Nun hatte ich wieder diesen Tonfall drauf, den ich an mir haßte. Frau Doktor spricht, die beruhigende, allwissende Stimme. Der Kindergartenton. Eine Art Berufskrankheit, man bekommt diese Stimme durch den Umgang mit Patienten. Die ganze Klinik, die jüngste Schwester redet so. Freundlich beruhigend, es wird schon werden. Die Maske unserer Hilflosigkeit.
Weißt du, sagte Maria, ich kämme mir
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