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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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umkehren, und ich bat ihn, noch etwas mit mir zu schwimmen. Er kam zu mir und schlängelte seine Füße um mich. Wir küßten uns und schlucktendabei Wasser. Ich tauchte seinen Kopf unter und schwamm weg. Er hatte Mühe, mir zu folgen. Am Strand rubbelten wir uns gegenseitig ab und sprangen auf einem Bein umher, um das Wasser aus den Ohren zu bekommen. Wir wickelten uns in die Bademäntel und rannten nach Haus.
    Maria oder das Mädchen hatte uns Kaffee und Eier gekocht, und wir setzten uns gleich im Bademantel an den Tisch und frühstückten. Das Mädchen erzählte uns, daß sie den ganzen Sommer an der See bleibe. Ein Quartier habe sie nicht, aber bisher sei sie immer irgendwo untergekommen. Sie fragte, ob sie auch bei mir ein paar Nächte schlafen könnte. Ich sagte ihr, daß ich nur ein sehr kleines Zimmer hätte. Ich bedauerte es, aber das Mädchen lachte und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen.
    Ich sagte zu Henry, daß sie ein sehr schönes Mädchen sei, ob er das nicht auch fände. Er nickte und sagte nur ja, dabei wurde er rot. Das Mädchen lachte wieder, und Henry war verstimmt. Er sagte, ich sei auch schön, und Maria sei es ebenfalls, auch sie sei eine sehr schöne Frau. Maria sah zu mir. Ich wußte, was sie jetzt dachte, und obwohl ich Henry nichts von unserem Gespräch erzählt hatte, machte mich ihr Argwohn betroffen. Einen Moment überlegte ich, wollte ein Mißverständnis erklären. Aber was war da zu sagen. Ich gab es auf.
    Zeilen aus einem Schülergedicht fielen mir zusammenhangslos ein. Ich hatte sie vor Jahren gelesen oder im Radio gehört, und ich wußte nicht, warum sie mir jetzt durch den Kopf gingen: Wenn der Augenblick sogenannte menschliche Größe von uns verlangt, vermögen wir nur intensiv und fast ehrlich in der Kaffeetasse zu rühren.
    So oder so ähnlich. Ich glaubte, es vergessen zu haben, aber irgendwo in mir hatten sich Bruchstücke des Gedichts eingeprägt. Ich konnte nicht einmal sagen, daß es mir was bedeutet. Größe wird mir nicht abverlangt, das sind Träume, mein kleiner Schülerpoet, Schülerträume. Hoffnungenund Irrtümer eines dünnen, bezopften Mädchens. Was verbleibt, sind einige Gewohnheiten, unbestimmte Sehnsüchte, ein leichter, dauernder Kopfschmerz und hin und wieder ein Mißverständnis, das nicht zu klären ist. Auch ein Grund, in der Kaffeetasse zu rühren, fast ehrlich.
    In die entstandene Pause hinein sagte das schöne blonde Mädchen: Jetzt ist ein Engel durch den Raum gegangen. Sie lachte.
    Wir verabschiedeten uns bald. Ich küßte Marias Wange, was sie unbeteiligt und gleichgültig hinnahm. Ich bat sie, Fred zu grüßen, der noch nicht aufgestanden war. Sie nickte, aber ich war nicht sicher, daß sie mir zugehört hatte. Ich saß bereits im Auto, als das schöne Mädchen, sie hieß Hella, mir aus dem Fenster zurief, ich möge warten. Sie kam herausgerannt und gab mir einen großen hellgrünen Klarapfel. Atemlos sagte sie: Ich wollte dir gern etwas schenken. Ich habe nichts anderes.
    Ihre Hand lag auf dem heruntergedrehten Wagenfenster. Ich konnte ihr Gesicht nur gegen die Sonne sehen, und es wirkte unwirklich, durchscheinend. Für einen Moment legte ich meine Hand auf ihre.
    Danke und alles Gute, sagte ich.
    Sie lachte schon wieder. Ich setzte schnell die Sonnenbrille auf.
    Henry fuhr mit seinem Auto hinter mir her. In meinem Dorf stoppte ich den Wagen, fuhr aber dann weiter bis zum Wasser. Wir legten uns auf den Grasstrand. Nachmittags machten wir Konservenbüchsen auf, die Henry mitgebracht hatte, und aßen kalte Suppe und Fleischklöße, von denen wir zuvor das erstarrte Fett abkratzten.
    Die Zigaretten gingen uns bald aus, aber keiner wollte ins Dorf fahren. Wir waren müde und schliefen auf dem warmen, harten Gras ein. Irgendwann weckten uns Dorfkinder. Am Nachmittag regnete es, und wir setzten uns in Henrys Wagen. Die Welt versank hinter den zerplatzendenRegentropfen, die auf das Fensterglas fielen. Eingeschlossen von den an den Scheiben herabströmenden Wassern saßen wir im Auto. Zwei Überlebende auf dem Meeresgrund. Die Musik aus dem Autoradio drang kaum bis zu uns. Letzte Zeichen einer entfernten und vielleicht schon überfluteten Zivilisation.
    Später ließ der Regen nach. Die Sonne blieb hinter den Wolken. Es war kühl geworden. Zum Abend kam Wind auf und schwärzte das Achterwasser. Der feuchte Waldboden blieb an unseren Schuhen kleben, und das Blattwerk überschüttete uns mit neuen Schauern.
    Ich drängte Henry, nach Berlin

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