Der fremde Freund - Drachenblut
zurückzufahren. Als wir uns verabschiedeten, bat ich ihn, nicht mehr unangemeldet zu kommen, hier nicht und nicht in Berlin. Er nickte und fragte, ob es so schlimm gewesen sei.
Nein, sagte ich, es war schön, daß du gekommen bist. Doch ich will mich nicht überraschen lassen. Ich will nicht überrumpelt werden, auch nicht von dir.
Wir küßten uns, und er fuhr los. Ich sah ihm nach, bis die Rücklichter seines Wagens verschwunden waren. Dann stieg ich in mein Auto und fuhr ins Dorf.
Gertrud und Jochen erkundigten sich, ob Henry und ich uns getroffen hätten. Ich sagte ja und machte mein Abendbrot. Dann setzte ich mich zu ihnen vor den Fernsehapparat. Jochen bot mir Bier an, und ich rauchte eine Zigarette, die erste seit Stunden. Irgendwie fühlte ich mich erschlagen und sehr erleichtert.
7
Nach dem Urlaub hatte ich einigen Ärger in der Klinik. Ich schrieb sogar meine Kündigung, zog sie aber nach einem Gespräch mit dem Chef zurück.
Meine Urlaubsvertretung hatte meine Patienten verunsichert. Einigen hatte er einen Arztwechsel geraten, bei anderen meine Diagnosefähigkeit bezweifelt. Von mir angeordnete Therapien hatte er abgesetzt oder verändert. Selbstverständlich hatte er alles sehr fein und andeutungsweise betrieben, aber ich spürte das Mißtrauen bei einigen Patienten. Außerdem erzählte mir Karla alles am ersten Tag. Sie tat mir gegenüber entrüstet, aber sicherlich hat sie die Intrige genossen. Ich kenne meine Karla.
Ich rief den Kollegen an und sagte ihm, was ich von seinen Methoden hielte. Er wurde unverschämt, und ich legte auf. Ich dachte daran, ein Disziplinarverfahren zu beantragen. Ich unterließ es jedoch. Es würde nur Diskussionen geben, und das fachliche Urteil würde meine und seine Anordnungen als korrekt einstufen. Man würde uns beide ermahnen und zu mehr Kollegialität auffordern. Also kündigte ich.
Ich hatte nicht unbedingt die Absicht wegzugehen, ich wollte mich nur gegen diese Schäbigkeiten behaupten. Der Chef rief mich an und fragte, ob ich am Donnerstagabend Zeit für ihn hätte. Er lud mich zu sich nach Hause ein.
Ich kaufte einen Strauß Rosen für seine Frau und machte mich darauf gefaßt, daß er entweder mit mir herumschreien oder die Sache familiär beilegen würde.
Ich ging zum ersten Mal zu ihm. Er bewohnte die Hälfte eines Zweifamilienhauses am südlichen Stadtrand. An der Gartenpforte war eine Sprechanlage installiert, was mirseltsam erschien, da es nur ein paar Schritte bis zum Haus waren.
Der Chef öffnete die Tür. Er begrüßte mich mit der Andeutung eines Handkusses und nannte mich »Kindchen«. Die dumme Anrede erleichterte mich: Er würde heute nicht schreien.
Er stellte mich seiner Frau vor, einer abgearbeiteten, verschüchterten Person in einem Hauskittel. Ich hätte sie für das Dienstmädchen gehalten.
Zum Abendessen gab es Schweinefilet und Spargel, dazu einen weißen Bordeaux und als Nachtisch Kuchen. Er redete über die gerade bekannt gewordene Flucht eines Oberarztes nach Bayern. Dann erzählte er mir von einem Skandal in einem amerikanischen Fachblatt. Ein Scharlatan hatte das ehrwürdige, renommierte Blatt mit Fälschungen geschickt reingelegt. Der Alte berichtete amüsiert und mit Freude am Detail. Seine Frau sprach wenig. Sie bewunderte ihn. Sie forderte mich auf, das Nachbarzimmer, die Bibliothek ihres Mannes anzusehen. Da seien Bücher über Bücher. Ihr Mann würde alle Fachliteratur lesen, in allen Sprachen. Sie sagte tatsächlich: Er liest alle Sprachen, englisch und alles.
Ihr Mann sagte, sie solle den Mund halten, und sie schwieg, ohne verärgert zu sein. Später schickte er sie raus. Sie mußte das Geschirr abräumen und für ihn und mich Kaffee machen. Er sprach dann über die Kündigung. Er blieb freundlich und redete mit mir in seinem KindchenTon, ließ dennoch keinen Zweifel an seiner Meinung zu. Er beeindruckte mich. Mir gefielen die Entschiedenheit, seine zufriedenen, robusten Ansichten. Gewiß, er ist kein Adler und vielleicht auch einfältig, aber er verströmt Ausgeglichenheit. Ich beneidete ihn. Doch ich wußte, mein Neid war mit zuviel Hochmut gemischt, als daß er mich wirklich berührt hätte.
Er sagte mir, daß er nichts unternehmen würde. Ich hättehysterisch reagiert. Wenn ich weggehen wolle, bitte, ich würde jenem Kollegen damit einen Gefallen erweisen. Möglicherweise wäre das seine Absicht gewesen, vielleicht wollte er einem Bekannten meine Stelle verschaffen.
Es war mir angenehm, ihm zuzuhören. Er
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