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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ganze Nacht hier zubringt. Für mich gab es jetzt zu tun. Wir küßten uns, und ich versprach, ihn telefonisch zu wecken.
    Es gefiel mir nicht, wenn er mir bei der Arbeit zusah. Es lenkte mich ab und störte. Vor zwei Wochen hatte Henry eine Nacht mitgemacht. Er war neugierig und hatte mich darum gebeten. Ich hatte eine Bereitschaft im Rettungswagen übernommen. Ich war nicht dazu verpflichtet, in unseren Stationen mußten wir oft genug Nachtdienst machen. Ein Bekannter hatte mich gebeten, ihn zu vertreten, und ich hatte zugesagt. In jener Nacht gab es einen größeren Einsatz bei einer Tanzveranstaltung. Die Zentrale hatte eine Bereitschaft geschickt und beorderte später auch unseren Rettungswagen dorthin.
    Die Tanzveranstaltung fand in einer Betriebskantine statt. Der Werkspförtner öffnete auf unser Hupen das Tor.Wir fuhren auf den Hof und parkten neben dem anderen Rettungswagen. Aus den geöffneten Fenstern im ersten Stock dröhnte Musik. Einige Jugendliche lagen auf den Fensterbrettern und beobachteten uns. Sie riefen zu uns herüber. Die Musik übertönte es.
    Im Erdgeschoß hatte man die Garderobe eingerichtet. Dort saßen auch die Verletzten. Ein Kollege untersuchte sie. Zwei Polizisten und mehrere junge Männer standen herum. Die Verletzten wirkten apathisch. Sie waren angetrunken und stierten vor sich hin. Das meiste waren oberflächliche Verletzungen, die bereits vernarbten. Zum Klammern der Platzwunden war es zu spät. Ich begrüßte den Kollegen und fragte, was zu tun sei. Die Fahrer brachten zwei junge Männer in den Rettungswagen. Sie wurden in die Klinik gefahren. Einer schien ein gebrochenes Nasenbein zu haben. Es sollte geröntgt werden. Der andere hatte offensichtlich zwei Finger gebrochen. Die übrigen bekamen Mull und Heftpflaster aufgeklebt. Es gab wenig Arbeit. Ein zweiter Rettungswagen war nicht notwendig gewesen. Die jungen Männer, die um die Blessierten herumstanden, zogen sie von den Stühlen hoch und brachten sie mit unsanften Griffen zum Werkstor.
    Henry wollte noch einen Blick nach oben werfen. Wir gingen die breite, gewundene Treppe hinauf. Links war ein Verkaufsstand. Es roch säuerlich nach verschüttetem Bier und warmer Wurst. Der Verkäufer, ein glatzköpfiger, fünfzigjähriger Mann, trug kurze Hosen und einen verschmierten, offenen Kittel über dem nackten Oberkörper.
    Auf der anderen Seite führten drei große Türen in den Tanzsaal. Wir stellten uns an die erste Tür und sahen hinein. Die Bühne wurde durch wechselndes, farbiges Licht beleuchtet. Der Saal blieb dunkel. Die Musik war ohrenbetäubend, schmerzend. Die Jugendlichen saßen an langen Tischen, vor ihnen Schnapsflaschen. Zwischen den Reihen torkelten einige Gestalten und stützten sich auf die Schulternder Sitzenden. Eng verschlungen bewegten sich dort drei Paare. Die große Verstärkeranlage war auf sie gerichtet. Es mußte dort unerträglich sein.
    Als ich mich an das diffuse Licht gewöhnt hatte, sah ich, daß nur Mädchen tanzten. Auch an den Tischen saßen die Mädchen allein. Keiner der Jungen interessierte sich für sie. Sie hockten nur stumpf da und tranken Schnaps. An einem Tisch gröhlten vier Männer so etwas wie ein Lied, aber sie gaben es bald auf. Die Musik aus den Lautsprechern überdröhnte alles.
    Als die Musiker Pause machten und von der Bühne gingen, wurde Stimmengewirr hörbar, Rufe, ein Mädchenkreischen. Dann überschwemmte die Musik wieder alles. Sie wurde jetzt vom Tonband eingespielt.
    Wir gingen hinaus. Ich spürte, wie meine rechte Schläfe zu schmerzen begann.
    Im Vorraum standen die Sängerin und einer der Musiker. Die Frau war grell geschminkt und trug ein Glitzerkostüm. Zwischen der uniformen Jeanskleidung des Publikums wirkte sie verloren und seltsam wie ein exotischer Schmetterling.
    Gefällt dir unsere Musik? fragte sie mich.
    Ich weiß nicht, sagte ich, es ist so laut.
    Ein Scheiß, aber die wollens nicht anders, stimmte sie mir zu und deutete mit dem Kopf zum Saal.
    Warum tanzt keiner? fragte Henry.
    Weiß nicht, die tanzen nie. Kommen nur so, meinte die Sängerin gleichgültig.
    Und was wollen die hier? fragte Henry weiter.
    Weiß nicht. Irgendein Scheiß, antwortete sie lächelnd. Sie bot uns Rotwein an, den sie aus der Flasche trank.
    Ich sagte, wir seien im Dienst, und sie nickte.
    Die jungen Männer, die bei den Verletzten gestanden hatten, kamen die Treppe hoch. Einer von ihnen, er war vielleicht achtzehn Jahre, kam zu uns.
    Was nicht in Ordnung? fragte er und antwortete

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