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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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klang immer noch komisch. Sie würde es nicht lesen! Sie würde nicht lesen, was der Typ dem älteren Ehepaar alles angetan hatte. Sie wollte es nicht wissen!
    »Sabrina ruft heute noch die Polizei an«, sagte Agneta. »Sie wird berichten, was sie weiß. Sie wird auch von den Drohbriefen erzählen.«
    »Auch von denen an uns?«
    »Natürlich. Clara, hier ist ein Doppelmord passiert! Wir können jetzt nicht mehr schweigen. Glaub mir, ich finde das furchtbar genug, und ich werde mir eine Menge Ärger mit meinem Mann einhandeln deswegen. Denn natürlich wird uns die Polizei nun auch ausquetschen, und wenn wir Pech haben, geht das alles haarklein wochenlang durch die Presse! «
    »Unser Versagen von damals.« Clara konnte schon wieder nur flüstern. »Das beleuchten sie dann auch.«
    »Ja«, sagte Agneta, »das wird wohl so sein.«
    Sie hatte nicht versagt. Clara konnte an Agnetas Stimme hören, wie erleichtert sie darüber war. Wenn auch der Täter wohl in ihr eine der Schuldigen sah – die Polizei, die Presse, die Gesellschaft konnte es nicht.
    Aber sie, Clara, konnte sich durch nichts aus ihrer Verantwortung winden. Man würde gnadenlos über sie urteilen. Eine korrumpierbare Person, die ein Kind im Stich gelassen hatte, weil sie sich nicht mit ihren Vorgesetzten anlegen mochte. Wen würde es noch interessieren, wie hilflos sie sich damals gefühlt hatte? Wie unsicher? Wie schwierig es für sie gewesen war, ein klares Bild zu gewinnen und die Situation richtig zu beurteilen?

    Es ist viel einfacher, Jahre später zu wissen, was richtig oder falsch war, dachte sie, aber es kann so schwer sein, wenn man sich mittendrin befindet.
    »Man wird mich fertig machen«, sagte sie. »Sie werden kübelweise Dreck über mir ausgießen. Vielleicht können wir überhaupt nicht hier wohnen bleiben! Man wird mir alle Schuld zuweisen, und …«
    Sie war den Tränen nahe.
    Agneta klang kühl. »Clara, dreh jetzt nicht durch. Verstehst du, es bleibt uns jetzt nichts übrig, als mit offenen Karten zu spielen. Auch dir nicht. Gerade dir nicht. Clara, da draußen läuft ein völlig durchgeknallter Typ herum, der bereits zwei Menschen abgeschlachtet hat. Und uns hat er bereits im Visier, da brauchen wir uns doch nichts mehr vorzumachen. Der schreibt uns die Briefe nicht bloß zum Spaß. Sie sind die Ankündigung dessen, was er vorhat. Wollen wir wetten, dass die Lenowskys ebenfalls solche netten Schreiben erhalten haben? Clara«, sie wurde sehr eindringlich, »du hast gar keine Wahl mehr. Die Polizei muss alles wissen. Wir brauchen ihren Schutz. Und zwar so schnell wie möglich.«
    »Meinst du, dass …«
    »Verlass heute mit Marie besser nicht das Haus. Öffne niemandem die Tür. Sei vorsichtig.«
    Mein Leben stürzt in sich zusammen. Wenn diese Geschichte in der Presse auftaucht, wird nichts mehr so sein wie vorher. Alles, was ich mir aufgebaut habe, bricht ein. Meine kleine Familie. Das Haus. Der Garten. Unsere beschauliche Welt.
    Sie wollte nicht weinen. Jedenfalls nicht, solange Agneta ihr noch zuhörte. Agneta, die so souverän auftreten konnte. Weil sie nicht wirklich Dreck am Stecken hatte. Weil sie, schön und reich, wie sie war, auch aus dieser Tragödie unbeschadet hervorgehen würde. Abgesehen davon, dass sie vielleicht
ermordet wurde, falls es der Polizei nicht gelang, den Killer zu schnappen.
    Wir alle werden vielleicht ermordet.
    Es war kaum der Moment, sich über ihren guten Ruf aufzuregen. Sie hatte weit größere Probleme, da hatte Agneta Recht.
    »Ich werde aufpassen«, versprach sie, doch dann legte sie, abrupt und ohne sich zu verabschieden, den Hörer auf.
    Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
    9
    Gegen Mittag erschien Marius im Wohnzimmer und brachte Inga ein Glas Wasser. Er hielt es ihr wortlos an die Lippen, und sie trank in großen, gierigen Zügen. Sie hatte auch Hunger, obwohl sie sich wunderte, wie sie in ihrer Lage Hunger empfinden konnte: Gefesselt auf einem Stuhl zu sitzen und zu erleben, dass der eigene Mann offenbar den Verstand verloren hatte, sollte ausreichen, jedem den Appetit zu verderben. Stattdessen krampfte sich ihr Magen mit einem wütenden Knurren zusammen.
    »Kann ich auch etwas zu essen haben?«, fragte sie, als das Glas leer war.
    Der Fremde, mit dem sie verheiratet war und den sie nicht mehr erkannte, runzelte die Stirn. »Ich müsste nachsehen«, sagte er. »Ich kann nicht einkaufen gehen, verstehst du?«
    »Natürlich nicht«, stimmte sie zu, »aber du musst schließlich

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