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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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vorübergehend bei mir unterzukriechen, und es könnte schwierig sein, ihn dann wieder loszuwerden.«
    »Du müsstest ihn nicht aufnehmen.«
    »Wenn er sonst nichts hat …«
    »Er kann zu seinen Eltern gehen.«
    »Das wäre für ihn vermutlich die allerletzte Lösung.«
    »Was nicht dein Problem sein muss.«
    »Ich weiß«, sagte Inga, »aber …« Sie ließ den angefangenen Satz in der Luft hängen.
    Rebecca nickte. »So einfach ist das eben nicht«, meinte sie.
    »Was ist mit dir?«, fragte Inga. »Wirst du Kontakt zu Maximilian aufnehmen?«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Nun – ich denke, er ist ein guter Freund. Er macht sich Sorgen um dich. Du solltest ihn vielleicht nicht so völlig abweisen. «
    Rebeccas Gesicht verschloss sich. Sie trug einen harten, abweisenden Zug um den Mund. »Ich brauche keine Freunde mehr. Ich komme mit mir allein zurecht.«
    Inga atmete tief. »Es geht mich ja nichts an …«
    »Richtig«, sagte Rebecca, »es geht dich nichts an.«
    Inga nahm allen Mut zusammen. Hastig sagte sie: »Ich mag dich, Rebecca. Du bist eine tolle Frau. Du bist jung und attraktiv und du hast so viel geleistet im Leben. Ich weiß ja nicht viel davon, aber so eine Initiative zu gründen, die Kinder schützt – also, ich finde das einfach toll, und es ist so schrecklich schade, dass du …«

    Rebecca setzte klirrend ihr Glas ab. Ihre Hand hatte leicht gezittert, als sie es zum Mund geführt hatte. »Inga, das ist meine Sache. Ich bitte dich ernsthaft, halte dich da raus.«
    »Aber du lebst hier wie lebendig begraben! Du bist allein und einsam, lässt deine Fähigkeiten verkümmern, stößt Menschen vor den Kopf, die dich mögen, und klammerst dich ausschließlich an die Erinnerung an einen … einen Toten, der … nie mehr wiederkommen wird.« Sie atmete tief. Rebecca saß wie erstarrt.
    Leise wiederholte Inga: »Er kommt nicht mehr wieder, Rebecca. So schrecklich es ist, aber … du musst dein Leben ohne ihn gestalten.«
    Rebecca erwiderte noch immer nichts.
    »Rebecca«, bat Inga leise.
    Rebecca stand auf. »Ich gehe schlafen. Bitte lösche nachher die Kerze und verschließe die Tür.«
    Sie verschwand im Haus.
    »Das habe ich gründlich versiebt«, murmelte Inga. Sie stand ebenfalls auf, nahm ihr Glas und lief noch ein paar Schritte durch den dunklen Garten. Die Sterne schienen zum Greifen nah, und in den Bäumen rauschte ein leiser Wind. Sie roch das Meer. Ein Paradies auf Erden, doch für Rebecca eine Hölle aus Einsamkeit und traurigen Erinnerungen. Sie musste fort von hier, musste unter Menschen, musste am Leben wieder teilnehmen. Sie würde hier auf Dauer nicht leben können.
    Aber morgen reise ich ab und überlasse sie sich selbst, dachte sie, und da sie sich mit Maximilian gründlich überworfen hat, kräht dann kein Hahn mehr nach ihr. Sie wird sich hier wieder vollständig eingraben und irgendwann an ihrer Schwermut zugrunde gehen. Und ich kann ihr nicht helfen. Ich kann sie nicht zwingen, mit nach Deutschland zu kommen.

    Sie trank ihren Wein aus und beschloss, schlafen zu gehen. Der Tag hatte sie ermüdet, aber obwohl es sie danach verlangte, sich im Bett auszustrecken und die Augen zu schließen, fühlte sie zugleich eine seltsame Unruhe, ein Kribbeln unter der Haut, das sie sich nicht zu erklären vermochte. Vielleicht hing es mit den Sorgen zusammen, die sie sich um Rebecca machte. Mit der Hilflosigkeit, die sie empfand. Mit dem Gefühl, diese Frau nicht im Stich lassen zu dürfen, und dabei doch zu wissen, dass sie nichts für sie tun konnte.
    Vielleicht kann ich morgen beim Frühstück noch einmal mit ihr reden, dachte sie, und dann mittags und nachmittags … ein bisschen Zeit bleibt noch. Von jetzt an noch immerhin knapp achtzehn Stunden.
    Sie löschte die Kerze im Windlicht und ging ins Haus, verschloss sorgfältig die Verandatür. Sie war dankbar, nicht im Zelt schlafen zu müssen, sondern Rebeccas gemütliches kleines Gästezimmer benutzen zu dürfen. Sie dachte an die Fürsorglichkeit, mit der sich Rebecca um sie gekümmert hatte, als sie völlig entkräftet und verzweifelt mit dem Schiff aus dem Sturm und dem furchtbaren Erlebnis mit Marius zurückgekehrt war. Wenn sie nur etwas davon würde zurückgeben dürfen.
    Ihr Zimmer lag unter dem Dach, war über eine leiterähnliche, sehr steile Treppe zu erreichen. Man konnte an keiner Stelle aufrecht stehen, und wenn man nicht aufpasste, gab es reichlich Gelegenheit, sich an den dicken Holzbalken in der Decke gründlich den Kopf zu

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