Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Abend einfach nicht mehr ertragen.«
Sie war zusammengezuckt. Trotz der Resignation, die sich immer weiter in ihr auszubreiten begann, tat es weh, seinen Überdruss zu hören, seine Abwendung von ihr.
Ich hätte das an jenem Abend einfach nicht mehr ertragen. Das hieß nichts anderes als: Ich hätte gerade dich an jenem Abend einfach nicht mehr ertragen.
Sie flüchtete vor ihrem Schmerz, indem sie ihre Trumpfkarte zog. »Was die Nachbarn betrifft«, erklärte sie, kühler als ihr zumute war, »so musst du zumindest jetzt zugeben, dass ich so falsch nicht lag. Auch wenn ich dich offenbar entsetzlich mit meinen bösen Ahnungen genervt habe.«
»Darum geht es doch gar nicht«, sagte Wolf. Es war klar, dass er ihr die Genugtuung, Recht gehabt zu haben, nicht einfach überlassen würde. »Es geht nicht darum, ob du Recht hattest oder nicht. Es geht um die Art, wie du damit umgegangen bist. In erster Linie ging es uns nichts an, was mit den Lenowskys passiert war. Wir hatten sie noch nicht lange als Nachbarn, und wir kannten sie kaum. Diese Distanz lag übrigens weit mehr an ihnen als an uns, wie du mir mehrfach erklärt hast. Sie wollten ganz eindeutig kein wirklich nachbarschaftliches Verhältnis aufbauen.«
»Aber …«
»Nichts aber . Wer sich derart zurückhält, kann nicht erwarten, dass sich die Menschen der näheren Umgebung engagiert um ihn kümmern, wenn irgendwelche Unstimmigkeiten auftreten. Du meintest, es trotzdem tun zu müssen. Gut. Du bist ein freier Mensch und siehst derlei Dinge offenbar anders als ich. Was ich nicht verstehe, ist, weshalb du mich dauernd
mit hineinzuziehen versucht hast. Was könnte man tun? Muss man nicht etwas tun? Wolf, lass uns doch etwas tun! « Er hatte sie, allerdings nur leicht übertrieben, nachgeäfft. »Kannst du nicht begreifen, dass mich das rasend macht? Du möchtest etwas Bestimmtes tun, aber aus irgendeinem Grund bist du zu unsicher oder traust dich nicht recht, und nun soll ich dazu gebracht werden, das Gleiche zu wollen wie du, um es dann mit dir zusammen durchzuziehen. Warum, verdammt noch mal, wenn du so überzeugt warst, im Fall Lenowsky handeln zu müssen, hast du es dann nicht einfach getan? Warum bist du nicht gleich da drüben eingestiegen oder hast die Polizei alarmiert oder sonst irgendetwas? Warum hast du nur ständig und unablässig an mir herumgezerrt und genörgelt?«
Sie starrte ihn an. Sie hatte alles erwartet, aber nicht diesen Vorwurf.
»Aber«, sagte sie, »du hast mir doch völlig den Mut genommen. Du hast mir ständig erklärt, wie unmöglich es ist, was ich vorhabe. Dass ich spinne, hysterisch bin. Dass ich mich langweile in meinem Leben und deshalb anfange, mir idiotische Geschichten auszudenken. Dass ich uns alle blamiere und unmöglich mache, wenn ich etwas unternehme, und es sich hinterher als überflüssig herausstellt. Ich dachte doch irgendwann, ich kann es gar nicht wagen, etwas zu tun, ohne dass ich hinterher für alle Zeiten von dir dafür angefeindet werde!«
Wolf probierte einen Schluck Kaffee, verzog aber angewidert das Gesicht und setzte seine Tasse rasch wieder ab. »Eiskalt«, sagte er. Er stand auf. Wie immer verströmte er ein unerschütterliches Selbstvertrauen. Er war mit sich und allem, was er sagte und tat, vollkommen im Reinen. »Genau«, sagte er, »genau das ist es, Karen. Ich fand es völlig falsch, was du vorhattest. Und du fandest es richtig. Und? Was wäre das normale Verhalten gewesen?«
Sie biss sich auf die Lippen. »Sag’s mir«, flüsterte sie.
»Das normale Verhalten«, sagte Wolf, »wäre gewesen, dass du genau das tust, wozu es dich drängt, und was nach deiner Überzeugung richtig ist. Ganz gleich, was ich sage.«
Sie glaubte nicht recht zu hören. In ihren Ohren dröhnte es.
Das glaube ich jetzt nicht. Ich glaube nicht, was er da sagt.
»Es hätte bedeutet«, fuhr Wolf fort, »dass ich wieder Achtung vor dir hätte haben können. Verstehst du? Ich möchte nicht ein kleines Mädchen als Frau haben, das mich aus ängstlichen Augen ansieht und jeden seiner Schritte von mir abgesegnet haben will. Ich will eine erwachsene Frau. Eine, die ihren Weg geht. Die auch einmal das Risiko auf sich nimmt, dass ich wütend auf sie bin. Dass wir Streit haben. Dass ich es vollkommen unmöglich finde, was sie tut. Eine Frau, die zu sich steht und zu den Dingen, die sie für wichtig und richtig hält. Und wenn die ganze Welt anderer Meinung wäre.«
Karen sah ihn fassungslos an. »Wie könnte ich denn eine solche
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