Der fremde Pharao
musterte der König die Menge. Yku-didi hatte seine Aufzählung beendet und nahm seinen Posten unterhalb des Fächerträgers zur Rechten ein. Itju öffnete seinen Tuschetopf und prüfte seine Pinsel. Eine so tiefe Stille legte sich über die Versammelten, dass man den Gesang eines einzelnen Vogels hören konnte, der seine winterliche Musik zwischen den sonnenbeschienenen Pfeilern jubilierte.
Apophis zeigte in den Saal, und schon schoben die Wachposten Kamose und die anderen vorwärts. Hoch erhobenen Hauptes durchschritten sie den Saal in seiner ganzen Länge, blieben vor dem Thron stehen, fielen auf die Knie und legten das Gesicht auf den Boden. »Verlies die Anklage«, sagte Apophis ruhig und mit einer Stimme, die ausdruckslos in den gedrängt vollen Raum fiel. Yku-didi räusperte sich. Kamose hörte Geraschel, ein Papyrus wurde entrollt.
»Kamose Tao, Erbfürst von Ägypten, Erpa-ha und Smer, Nomarch von Waset und seinen Provinzen, du und deine leibliche Familie werdet beschuldigt, zusammen mit Osiris I. Seqenenre Tao Hochverrat begangen, zu den Waffen gegen den Göttlichen und Herrscher der Zwei Länder, Awoserra Aqenenre Apophis, gegriffen und die Verträge des gegenseitigen Vertrauens und der Hilfe gebrochen zu haben, die zwischen deinem Großvater Senechtenre und dem König getroffen wurden. Ihr werdet des Versuchs beschuldigt, das Gleichgewicht der Maat in Ägypten gestört und Gotteslästerung gegen Ägyptens obersten Schutzgott Sutech begangen zu haben. Abschriften dieser Anklage sind Sutech, Re und Thot zur Beurteilung zugeleitet worden. Eure Schuld ist erwiesen. Leben, Gesundheit und Gedeihen dem Einzig-Einen, der wie Re ewig regiert!«
Es entstand eine Pause. Kamose schloss die Augen, während er die Wange auf den warmen Fußboden drückte.
»Ihr dürft aufstehen«, erklang Apophis’ Stimme noch immer ausdrucks-und gefühllos über ihnen. Sie erhoben sich. Ahmose starrte den König offen an. Kamose neben ihm sah, wie ein herrisches Winken der königlichen Hand den Hüter der königlichen Insignien herbeiholte, der die Stufen zwischen den Gemahlinnen hochstieg, den geöffneten Kasten im Arm. Apophis beugte sich vor und ergriff Krummstab und Geißel. Der Hüter zog sich rückwärts zurück. »Hat einer von euch noch etwas zu sagen, ehe ich das Urteil verkünde?«, fragte der König. Kamoses Blick traf sich mit seinem aus kohlumrandeten, unlesbaren Augen.
»Ich«, sagte er, und seine Stimme klang in der vormittäglichen Stille laut. »Der Versuch, den Aufstand zu rechtfertigen, den mein Vater geplant hat und an dem mein Bruder und ich teilgenommen haben, ist eines Amuns-Sohns nicht würdig, und darum versuche ich es auch gar nicht erst. Aber, Majestät, ich bitte um Nachsicht für die Frauen meiner Familie. Sie haben nicht dazu angestachelt und ihn auch nicht tätig unterstützt. Sie sind unschuldig.«
»Ach wirklich?«, sagte Apophis höflich, und sein Blick schweifte zu Tetischeri, die aufgerichtet in ihrer ganzen Pracht dastand. »Aber Fürst, wer weiß schon, welch ermunternde Worte sie insgeheim geflüstert haben, welche rebellischen Wünsche sie in der Hitze eines Sommernachmittags angefeuert haben? Hier im Süden kennt man keine Mäßigung, hier brennt Re herab, die Wüste ist karg, und das Blut der Bewohner, von denen einige mehr als nur eine Spur Wawat-Blut in den Adern haben sollen, rinnt kühn und heiß«, fuhr Apophis fort. »Deine Bitte ist zur Kenntnis genommen worden.« Er beugte sich vor und drückte Krummstock und Geißel fest an die Brust. »Wo sind die Hauptleute deines Vaters, Kamose Tao?«
»Die waren nicht sehr zahlreich, wie Eure Majestät zweifelsohne weiß«, antwortete Kamose geschickt. »Sie sind alle in der Schlacht gefallen.« Apophis warf Pezedchu, der mit den anderen Generälen an der Wand stand, einen Blick zu. Pezedchu schüttelte unmerklich den Kopf. Apophis blickte wieder Kamose an.
»Rechtfertigung mag eines Amun-Sohns unwürdig sein«, bemerkte er trocken, »Lügen sehr wohl. Ich beabsichtige jedoch nicht, meine Soldaten durch Aufspüren der Abtrünnigen aufzureiben. Sie haben sich ohnedies nicht gut geschlagen. Machen wir also weiter.« Er erhob sich. Alle außer der Familie fielen auf die Knie. Kamose spürte, wie Tanis Hand seine umklammerte, als Krummstab und Geißel über ihnen ausgestreckt wurden. »Hört das Urteil des allweisen Königs«, sagte Apophis und hob die Stimme, die jetzt kräftig und volltönend über all die Menschen hinwehte. »Kamose Tao, du
Weitere Kostenlose Bücher