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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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in einem sanft geschwungenen Tal, das von den schroffen, blatternarbigen Felsen des Gurn eingeschlossen wurde. Er hatte sich oft gefragt, warum der Göttliche diesen Ort gewählt hatte, so weit entfernt von Fruchtbarkeit und Menschen, einen einsamen Ort ohne Wind, auf den die Sonne gnadenlos herunterprallte und der nirgendwo Schatten bot. Doch in der Woche, ehe er mit Tetischeri über Apophis’ Forderung sprach, ließ er sich über den Nil staken, machte sich auf den Weg zu dem verborgenen Tal und meinte in seiner Verzweiflung, einen Grund dafür gefunden zu haben.
    Allein ging er den Aufgang zur mittleren Stufe empor und beschattete die Augen, die ihm trotz der dicken Umrandung mit Kohl tränten, damit er die kleine Pyramide betrachten konnte, die in die unerträgliche Bläue des Sommerhimmels ragte, und da spürte er, dass dieser Mann einzigartig und mutig gewesen war. Wie Seqenenre selbst war Mentuhotep Nomarch von Waset gewesen und hatte einem König im Norden Tribut gezahlt, bis sein Blut nach Gerechtigkeit schrie und er gegen den Thronräuber zu den Waffen gegriffen hatte.
    Warum?, fragte sich Seqenenre geblendet in der gleißenden Sonne, während er ungeschützt hoch oben auf dem Denkmal seines Vorfahren stand. Der König, dem du gedient hast, war Ägypter. Er hat den Zustrom von Fremdlingen aus dem Osten ins Delta abgewehrt. Er hat die östliche Grenze befestigt. Er hat Mennofer die Macht zurückgegeben, die diese altehrwürdige Stadt einst besessen hat, er hat neuen Handel, neuen Frieden gebracht, er war ein guter König. Aber er war kein Gott. Er regierte von Amuns Gnaden.
    Seqenenre ließ sich auf den heißen Stein sinken, und die Verzweiflung wollte ihn schier übermannen. Und als du die Demütigung nicht länger ertragen hast, da hast du in deiner Not zu den Waffen gegriffen, und du hast gewonnen, hast dir am Ende die Doppelkrone aufs Haupt gesetzt. Das Rote Land und das Schwarze Land waren wieder vereint, waren Ägypten, und die Maat wurde erneut eingesetzt. Darum hast du dir diesen unwirtlichen Ort als letzten Ruheplatz ausgesucht. Dein Schicksal hat dich im Leben abgesondert. Es hat dich verändert und getrieben. Es hat dich sogar im Tod abgesondert. Ach, würde mir ein solches Los doch erspart bleiben!
    Aufstöhnend reckte er sich, ging den Aufgang hinunter und durchschritt die abgestorbenen Reste eines Tamariskenhains. Mentuhoteps Bildnisse sahen im Schatten der Sykomoren hinter ihm her, und Seqenenre wollte es so vorkommen, als ob die Statuen stumm über Pflicht und Leid zu ihm sprachen.
    In dem von der Sonne ausgedörrten Tal konnte er nicht denken, da konnte er nur fühlen. Daher suchte er Zuflucht in Mentuhoteps baufälligem Palast, in dem es einigermaßen kühl war. Er schritt auf und ab und grübelte. Dann stellte er sein Sonnensegel auf den Frauengemächern auf, saß mit gekreuzten Beinen im mageren Schatten und überblickte sein sommerlich verdorrtes Reich. Der Nil war nur noch ein verdrossenes braunes Rinnsal. Die Felder wurden allmählich zur Wüste und waren von tiefen Rissen durchzogen, in denen ein Mensch fast bis zu den Knien versinken konnte. Die Bäume waren vertrocknet, die Palmen ließen die Wedel hängen. Nichts Lebendiges war zu sehen. Als er einen Blick hinter sich wagte, wo die Wüste im luftlosen Hitzedunst flimmerte und sich der goldene Sand der Unendlichkeit des tiefblauen Himmels entgegenwellte, da merkte er, dass er seine eigene Seele sah.
    Und als er wusste, dass er keine Lösung hinnehmen, dass er sich weder nach rechts noch nach links wenden konnte, obwohl die Wahl so klar war wie sein eigenes Spiegelbild in dem Kupferspiegel, den ihm sein Leibdiener jeden Morgen vors Gesicht hielt, da ging er mit der Rolle zu seiner Mutter. Tetischeri ruhte auf ihrem Lager. Es war Nachmittag. Isis fächelte die muffige Luft über ihrem Leib unter dem Laken, und Mersu hatte gerade den Wasserkrug auf ihrem Tisch frisch gefüllt. Im Zimmer war es dämmrig, doch die dicken Wände aus Lehmziegeln konnten Res Gewalt nicht völlig widerstehen, während er seine glühende Bahn nach Westen zog.
    Seqenenre bat, vorgelassen zu werden, und wurde hineingewinkt. Isis entfernte sich. Tetischeri setzte sich auf und klopfte auf das Lager, und Seqenenre reichte ihr die Rolle. Sie las sie durch, hob die Brauen und las noch einmal. Seqenenre bediente sich mit Wasser. Tetischeri ließ die Botschaft zu Boden fallen.
    »Der Dolch ist mit den Jahren immer näher gekommen«, sagte sie. »Jetzt kratzt er deine

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