Der fremde Pharao
sich durch den Hohlweg zu Hathors Vorhof tragen lassen.
Überall Anzeichen von Verfall. Zwischen den Pflastersteinen wucherte Unkraut, jetzt trocken und tot. Auf dem Boden des Innenhofs hatten Wüstenhunde getrockneten Kot und Knochen hinterlassen. Eine Mauer und ein Teil vom Dach des inneren Heiligtums waren eingefallen. Doch Hathor war noch im Inneren und blickte an Seqenenre vorbei, während er mit den Händen voll Wein und Essen dastand. Ihr wohlgestalteter Leib trug ein gemaltes weißes Hemdkleid, ihr Hals war mit Lapislazuli und Gold geschmückt.
Si-Amun hatte ihn begleitet, und zusammen – Si-Amun bäuchlings auf dem geborstenen und zerbrochenen Boden und Seqenenre unbeholfen stehend – beteten sie um Gesundheit und langes Leben für die Frauen der Familie. Es gab keine Priester mehr, die die Gaben hätten annehmen können. Sie legten alles zu Füßen der Statue ab, gingen rückwärts aus dem inneren Heiligtum, und Si-Amun gelang es nur mit großer Mühe, die Türen zu dem kleinen Raum wieder zu schließen.
Seqenenre wurde das Herz schwer, als er im Vorhof wieder in seine Sänfte stieg und sich im letzten dunkelroten Abendlicht ins Lager zurücktragen ließ. Keine gewaltsame Zerstörung kann es mit diesem traurigen Verfall aufnehmen, dachte er und merkte, dass Si-Amun wieder einmal stumm und mit seinen Gedanken woanders war. Beide waren versunken in ihre Traurigkeit. Die Setius haben uns ohne Speer und Bogen erobert, sie haben keine Tempel niedergebrannt und keine Priester umgebracht, und dennoch verändert sich Ägypten langsam, ganz langsam. Im Laufe der Zeit vollbringt Vernachlässigung, was Schwert und Bogen nicht erreicht haben.
Als sie dann aus ihren Sänften stiegen, war es vollkommen dunkel. Seqenenre ließ sein Feldbett nach draußen bringen, verspeiste an Kissen gelehnt sein mageres Mahl und lauschte dem geordneten Wirrwarr ringsum. Er war gerade fertig, als Hor-Aha kam und sich neben ihm in den Sand hockte. »Ich habe für heute Nacht doppelte Wachen aufgestellt«, sagte er. »Mittlerweile hat der König vielleicht Kunde von unserem Vormarsch. Vielleicht sind seine Späher bereits unterwegs, aber natürlich können sie Qes noch nicht erreicht haben. Die nächste größere Stadt ist Chemmenu, und dort gibt es nur ein kleines Kontingent Soldaten. Aber wir sollten auf alles gefasst sein.« Seqenenres Laune verdüsterte sich. Morgen würde es ernst werden.
»So viele ›vielleicht‹, Hor-Aha!«, meinte er. »Ruf im Morgengrauen die Hauptleute zusammen. Wir wollen den Amun-Schrein aufbauen und vor dem Aufbruch opfern. Wie viele Tage haben wir noch, ehe Apophis’ Soldaten versuchen, uns aufzuhalten?« Hor-Aha runzelte die Stirn und überlegte.
»Drei Tage, um das Heer aufzustellen, mehr nicht angesichts der Tatsache, dass Auaris ein sehr großes stehendes Heer hat. Zwei Wochen Marsch bis Chemmenu, aber wir ziehen ihm entgegen, treffen uns sozusagen mit ihm.« Er blickte hoch und lächelte frostig. »Wirklich schwer zu sagen, Fürst, aber in fünf Tagen sollten wir kampfbereit sein und von da an jeden Tag.«
»Was berichten die Späher?«
»Bis gestern war alles ruhig. Aber heute sind sie noch nicht zurück.« Er zog sich den Umhang über die Hände, eine typische Geste, wenn er besorgt war. »Sie hätten vor Sonnenuntergang hier sein sollen.«
»Hast du andere nach ihnen ausgeschickt?« Der General nickte.
»Von denen hören wir vielleicht bis zum Morgen nichts. Fürst, ich möchte anraten, dass wir nicht weiterziehen, ehe sie zurück sind.« Seqenenre war anderer Meinung.
»Du hast selbst behauptet, dass Apophis’ Heer unmöglich bis hierher gekommen sein kann«, sagte er. »Wir können es uns nicht leisten, viertausend Männer futternd herumsitzen zu lassen.« Hor-Aha warf ihm einen erschrockenen Blick zu, dann lachten beide Männer schallend.
»Wie auch immer«, mahnte Hor-Aha, dem die gute Laune so schnell verging, wie sie gekommen war, »es wäre dumm, wenn wir uns ohne Not aufreiben ließen.«
Als Hor-Aha gegangen war, diktierte Seqenenre seinen abendlichen Brief an Ahmose und die Familie und erteilte Kamose, Si-Amun und den Hauptleuten Anweisungen für den kommenden Tag. Sie würden früh aufbrechen und in Alarmbereitschaft sein, die Streitwagen und die Tapferen des Königs in der Vorhut, und darauf gefasst, die Wucht aller Feindseligkeiten abzufangen, auf die sie stoßen mochten. Es gab wenig mehr zu sagen, keine schwierige Strategie zu planen. Mein Feldzug, dachte Seqenenre
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