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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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einem Nebenpfad, gelbes Licht flackern. Zu müde für alle Vorsicht, rannte und fiel er fast über den Soldaten, der die Vorräte bewachte. Der Mann rief ihn an und entfernte sich bei seiner Antwort. »Ich brauche Essen, Bahren und den Arzt«, brachte Si-Amun mühsam hervor. »Ist er da? Habt ihr Wasser?« Der Mann hielt ihm einen Lederbeutel hin, den sich Si-Amun schnappte und austrank. Es war das süßeste Wasser, das er je gekostet hatte.
    »Der Arzt ist gestern Abend eingetroffen«, berichtete der Soldat. »Er hat gesagt, die Schlacht ist verloren. Ich hole ihn und bringe euch zu essen und zu trinken.« Frisch gestärkt ließ sich Si-Amun auf einen Felsblock sinken.
    »Bleibt mit den Eseln weiter hier versteckt«, befahl er. »Wir brauchen auch Licht.« Der Mann entfernte sich und Si-Amun saß da, lauschte der nächtlichen Stille und nahm mit allen Sinnen das Gewicht der Steine ringsum und den schwarzen Tunnel des Himmels über sich wahr. Jäh kam ihm der entsetzliche Gedanke an seinen Vater, der mit einem Speer durch den Kopf dalag. Jetzt bin ich Nomarch von Waset, sagte er sich. Großer Amun! Ich bin der Fürst. Und ich bin auch der rechtmäßige König von Ägypten. Sowie ich wieder in Waset bin, muss ich Apophis eine Botschaft schicken, eine Entschuldigung, einen Ausdruck meines Gehorsams. Diese Familie darf nicht länger leiden.
    Bei dem Gedanken an das Anwesen fielen ihm Mersu, Teti und der mutige Ramose ein, und er krümmte sich innerlich und schloss die Augen. Ich habe Teti und Ramose in der Schlacht nicht gesehen, aber gewiss waren sie da. Hoffentlich haben die Götter Teti einen raschen Tod beschert! Wie kann ich heimkehren und Mersu ohne Gerichtsverfahren umbringen? Denn sterben muss er. Si-Amun öffnete die Augen. Nein. Es darf nicht wieder anfangen, die Lügerei, die Täuschung, die Schmach. Hier auf dem Schlachtfeld bin ich mir seit Monaten zum ersten Mal wieder sauber vorgekommen. Ich werde Kamose alles erzählen und sein Urteil annehmen.
    Er führte den Arzt und die Diener mit den Bahren und dem Essen auf dem Pfad zu der Stelle zurück, wo die Verwundeten kauerten. Der Arzt machte sich unverzüglich an die Arbeit, schnürte sein Bündel auf und breitete die Kräuter aus. Einer der Diener entzündete ein Feuer, damit er heißes Wasser hatte. Ein anderer stellte eine Lampe in den Sand. Si-Amun zog sich zurück und sah zu; er spürte, wie bei den kundigen, konzentrierten Bewegungen des Arztes, der gelassenen Tüchtigkeit des Dieners, dem stetigen Schein der Lampe das Alltagsleben zurückkehrte. Hor-Ahas Schulter wurde gewaschen und ruhiggestellt. Kamose bekam Kräuter auf die Wunde an seiner Seite gelegt, und seine Wange wurde genäht. Beide Männer trieben schon bald auf einem Meer aus Mohnsaft. Der Arzt seufzte, hockte sich auf die Fersen und fragte Si-Amun: »Und wo ist mein schlimmster Fall, Prinz?« Si-Amun wandte den Blick ab.
    »Mein Vater ist tot«, erwiderte er tonlos. »Er ist in der Schlacht gefallen. Morgen früh gehen wir seinen Leichnam suchen.« Der Arzt schwieg und wandte sich wieder seinen Patienten zu. Die Lampe war gelöscht worden, und jetzt sah man auch die Sterne, die umso heller funkelten, da der Mond untergegangen war. Si-Amun verließ seinen Felsbrocken, wickelte sich in seinen Umhang und schlief.
    Sowie sie sich gegenseitig sehen konnten, nahm Si-Amun zwei Diener und eine Bahre mit und kletterte in die Ebene hinunter. Lange ging er auf dem aufgewühlten Schlachtfeld auf und ab und versuchte sich nach besten Kräften zu erinnern, wo genau der Streitwagen gelegen hatte. Pezedchu hatte alle mitgenommen, und nirgendwo war ein umherirrendes Pferd zu sehen. Si-Amun und seine Männer stolperten unter zerbrochenen Speeren, befleckten Axtgriffen, zerrissenen und nutzlosen Stofffetzen, die einmal Schurze gewesen waren, und verschrammten Ledergeschirren herum. Gelegentlich mussten sie den Blick von abgetrennten Gliedmaßen abwenden, die schwarz und grotesk im grauen Staub lagen. Tief bedrückt dachte Si-Amun, dass sie, wenn sie seinen Vater finden wollten, vielleicht die Erdhügel würden öffnen müssen, die die Massengräber der Gefallenen kennzeichneten. Sollte ihm ein Platz in Osiris’ Reich verweigert werden, nur weil sein Leichnam nicht einbalsamiert werden konnte?
    Dann schrie ein Diener, und Si-Amun rannte zu der Stelle, wo der Mann über einer Mulde nahe der Stelle stand, wo sie aus den Felsen gekommen waren. Der Mann warf mit Erdklumpen nach einer Hyäne, die sich aufjaulend

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