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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Empfängnis an wussten. Doch mit fünfzehn verstand sie ihren Körper noch nicht gut genug, um zu erkennen, ob darin ein neues Leben heranwuchs. Ihre Periode war unregelmäßig, und die Pubertät hatte bei ihr später eingesetzt als bei den anderen Mädchen ihrer Altersstufe – noch ein Grund mehr für sie, sich über Dayna lustig zu machen.
    »Gute Nachrichten, Max. Ich bin schwanger«, flüsterte sie versuchsweise, und gleich darauf: »Gute Nachrichten, Max. Ich bin nicht schwanger.«
    Sie stellte sich sein Gesicht vor, wenn sie ihm das Ergebnis mitteilte. Glück, Reue, Angst, Schock? Er war in letzter Zeit so seltsam gewesen, dass sie sich nicht zutraute, seine Reaktion vorherzusagen.
    »Aber wo soll ich es ihm sagen?«, flüsterte sie ihrem alten Teddybären ins Ohr. Seit fünfzehn Jahren saß das mittlerweile abgewetzte und streng riechende Stofftier auf ihrem Bett – das einzige Spielzeug, das ihr richtiger Vater ihr jemals geschenkt hatte.
    Wie um die Wahrheit noch ein wenig hinauszuschieben, überlegte Dayna, ob sie es ihm auf dem kleinen Pfad hinter der Turnhalle, auf dem Karussell im Park oder in der Mensa der Schule mitteilen sollte. »Uns bleibt immer noch die Bude«, sagte sie zu dem Bären, der sie mit seinen Glasaugen ausdruckslos anstarrte. Die Naht an seiner schiefen Schnauze löste sich allmählich auf, so dass er ständig zu grinsen schien. »Ich sag’s ihm in der Bude.«
    Ohne noch länger zu zögern, stopfte Dayna den Teddy unter ihre Decke und schickte Max eine SMS , um sich mit ihm zu verabreden. Dann brachte sie zehn Minuten damit zu, ihr Make-up zu erneuern. Er sollte sie nicht in diesem Zustand sehen. Wenige Minuten später kam seine Antwort, die nur aus einem Wort bestand: Warum? Kein Kuss, kein Smiley, nichts.
    Tja, warum eigentlich?, fragte sich Dayna. Warum war alles so furchtbar schiefgegangen?
    Nach einem halben Dutzend weiterer Nachrichten gab Max endlich nach und erklärte sich bereit, sich mit Dayna an der Bude zu treffen. Er war schon länger nicht mehr dort gewesen, obwohl er eigentlich seine neuesten Gewinne – eine elektrische Zahnbürste, ein Picknickset und eine Dynamo-Taschenlampe – hinbringen musste. Doch er hatte sich nicht dazu durchringen können, seit er sich dort nicht mehr mit Dayna traf. Seit diesen Anrufen, den gemeinen SMS .
    Treffen wir uns bei der Bude?, hatte sie gefragt. Kein Kuss am Ende. Er las die Nachricht noch einmal, während er auf sie wartete. Vielleicht kam sie ja gar nicht. Vielleicht war es nur ein Witz – wie alles an ihrer Beziehung, das hatte er jetzt erkannt. Und dabei hatte er sich eingebildet, sie liebte ihn.
    Nach allem, was geschehen war, wollte er nur noch weglaufen, vergessen, alles hinter sich lassen. Doch jetzt schickte sie ihm auf einmal eine SMS , und schon war die Welt wieder voller Möglichkeiten. Was hätte er auch anderes tun sollen als darauf einzugehen? Er hatte keine anderen Freunde. Seine Eltern arbeiteten ununterbrochen und interessierten sich nicht für ihn. Ob es überhaupt jemand bemerken würde, wenn er tot wäre?
    Jetzt stand er also hier in seiner Bude, halb verborgen im Schatten hinter den Spinnweben, und spähte mürrisch aus dem Fenster. Auf gar keinen Fall sollte Dayna denken, dass er nach ihr Ausschau hielt. Sein Adrenalinspiegel stieg, als er eine Gestalt auf dem Bahndamm entdeckte. Doch es war nur ein Mann, der seinen Hund ausführte. Max entspannte sich wieder und steckte sich zur Beruhigung eine Zigarette an. Dann ließ er sich auf der alten Autorückbank nieder und wischte ein wenig Zigarettenasche weg, die neben ihm auf den Sitz gefallen war. Dayna sollte sich nicht die Kleider daran schmutzig machen.
    »Da, schon wieder«, sagte er zu sich selbst, während sich der Rauch in einem Windstoß kräuselte, der durch die Ritzen der schiefen Tür in die Hütte drang. »Schon wieder machst du dir Gedanken über sie. Du magst sie immer noch.«
    Er grübelte darüber nach, was es eigentlich bedeutete, jemanden zu mögen, oder genauer, was es hieß, dass er Dayna gemocht hatte. Inwiefern hatte er sich dadurch verändert? Was wäre, wenn er sie nie kennengelernt hätte? Wünschte er sich, dass zwischen ihnen alles wieder in Ordnung wäre? Und wünschte sie es sich auch und wollte vielleicht darüber mit ihm reden?
    Er saß da, rauchte und dachte nach, kam jedoch zu keinem Ergebnis.
    »Blöde Ziege«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Er schnaubte und musste gleich darauf husten, weil er den Rauch zu

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