Der fremde Sohn (German Edition)
in ihm wüteten.
Die Jungen begannen erneut zu johlen und ihn zu beschimpfen, nannten ihn einen Loser und riefen ihm zu, er solle sich einfach verpissen.
Dayna ging mit ausgestreckten Händen auf ihn zu. Sie musste ihm unbedingt das Messer wieder abnehmen.
Ein wenig vorgebeugt, mit krummem Rücken und gespreizten Beinen stand Max da, heulte und schrie Worte, die sie nicht verstand – nicht verstehen wollte –, dann hob er den Blick zum Himmel und flehte um Hilfe. Er weinte.
Dayna schaute ebenfalls nach oben, als sei dort die Lösung für all ihre Probleme zu finden.
Langsam senkte sie wieder den Blick.
Und dann war mit einem Schlag alles anders. Max stieß sich das Messer in den Bauch.
Seine Augen traten hervor, darin standen Tränen. Er sah Dayna unverwandt an.
»O Gott, nein! «
Als Max das Messer herauszog, quoll das Blut in einem heißen Strom aus seinem Körper.
Dayna schrie.
Wieder und wieder stieß sich Max das Messer in den Leib. Er stand jetzt gekrümmt, beide Hände um die Waffe gelegt, die sich tief in seinen Leib senkte. Seine Hände, sein Gesicht, die Kleider, die Schuhe, der Boden – binnen Sekunden war alles blutüberströmt.
»Scheiße!«, brüllte jemand.
»Blöd gelaufen!«, schrie Warren Lane seinen Kumpeln zu.
Dayna sah ihn verständnislos an und fragte sich, was er damit meinte. Hoffentlich holte er Hilfe, damit alles wieder gut würde.
Aber das tat er nicht. Alle drei rannten einfach davon, ihre weißen Turnschuhe leuchteten im trüben Licht.
Wie in Zeitlupe sank Max in die Knie. Gebannt sah sie zu, wie der schöne, kluge, verzweifelte Max gekrümmt zusammenbrach und mit dem Kopf auf den Boden schlug. Wieder wollte Dayna schreien, doch es kam kein Ton.
Dayna lief zu ihm. Sie presste die Hände auf Max’ Bauch, versuchte vergeblich, die Blutung zu stillen. »Du darfst nicht sterben!«, flehte sie. O Gott, o Gott, o Gott …
»Hilfe!«, schrie Dayna. Er atmete keuchend, aus seiner Kehle drang ein Blubbern und Pfeifen.
Nach einer Weile sprang sie auf. Der Schulhof war ihr noch nie so verlassen vorgekommen. Die Bande war verschwunden. Hastig zog Dayna ihr Handy aus der Tasche und rief einen Rettungswagen.
»Ich kann ohne dich nicht leben!«, rief sie und bemühte sich erneut, den Blutstrom zu stoppen. »Ohne dich will ich nicht leben.«
Es war alles ihre Schuld. Hätte sie ihn nicht in die Irre geführt, um ihn zu bestrafen, und ihn glauben lassen, sie habe tatsächlich abgetrieben, dann wäre er nicht so außer sich geraten.
Was hatte sie nur getan?
»Schluss jetzt«, hörte sie jemanden sagen, und diese Frau – Leah – kam auf die Bühne.
Dayna blickte auf, und ihre Augen wurden groß. Sie biss sich auf die Lippe.
»Ist gut, Carrie. Es ist alles in Ordnung«, sagte Leah. »Wir sind schon seit dem Einspielfilm nicht mehr auf Sendung. Als es brenzlig wurde, habe ich eine Wiederholung einspielen lassen.« Sie nahm Carrie in die Arme und warf Dayna über die Schulter ihrer Freundin einen finsteren Blick zu. »Das hast du gut gemacht, die Telefone rauchen«, fügte sie, an Carrie gewandt, hinzu.
»Ich … ich verstehe nicht«, brachte Carrie mit schwacher Stimme hervor.
»Das brauchst du auch nicht.« Dennis Masters stand plötzlich neben Dayna. Sie nahm den Geruch nach Schweiß und Kaffee wahr. »Mädchen, Mädchen«, murmelte er, und zu Jess sagte er: »Kümmern Sie sich um sie, Detective.«
Dayna runzelte die Stirn. Was meinte er? Was ging hier vor?
»Ich habe Max getötet. Ich bin schuld, dass er nicht mehr am Leben ist«, wiederholte sie. Die Worte brannten ihr auf den Lippen. Sie blickte Carrie nach, die sich widerstrebend von Leah von der Bühne führen ließ, das Gesicht verzerrt vor Trauer und Verzweiflung.
»Netter Versuch, aber er kommt zu spät«, sagte Dennis zu Dayna. »Warren Lane hat bereits gestanden. Er hat uns kurz nach Beginn der Sendung angerufen, und gerade ist ein Wagen unterwegs, um ihn abzuholen.«
Dayna sah ihn finster an. Sie begriff gar nichts. Wovon redete er da?
»Du musst nichts mehr sagen« – Dennis ging neben ihrem Stuhl in die Hocke, nachdem Jess sich ein paar Schritte entfernt hatte, um zu telefonieren –, »ich weiß Bescheid.«
Dayna hätte am liebsten auf ihn eingeschlagen, bis er ihr glaubte. Doch sie konnte nur dasitzen, mit hochgezogenen Schultern, das Gesicht halb im Kragen ihrer Jacke vergraben.
»Die beiden Rüpel Samms und Driscoll haben sich entschlossen, mit der Wahrheit herauszurücken, um ihrem Kumpel
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