Der fremde Sohn (German Edition)
heute anders in unserer Welt, die so weit von der entfernt ist, wo Romeo und Julia um ihre Liebe kämpfen? Ein Junge liebt ein Mädchen, er schmilzt unter einem einzigen Blick von ihr dahin und sehnt sich so sehr nach ihr, doch er muss einen Großteil seines Lebens vor ihr verstecken. Dieser Junge möchte seine Liebe zu ihr laut hinausschreien, aber das ist unmöglich, die anderen hindern ihn daran, sie sind gegen diese Liebe. Bleibt ihm dann etwas anderes als der Tod? Ich sage, nein. Wenn eine Liebe von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, kann nichts und niemand etwas daran ändern. Und dann, so behaupte ich, kann nicht einmal die Endgültigkeit des Todes den Jungen schrecken. Auch unsere Welt besteht aus Licht und Dunkelheit, Gut und Böse, uns und den anderen. Wäre es nicht so, dann wäre unser Leben trostlos. Ohne diese Widersprüche hätte ich gar nicht gelebt.
»Ach Carrie«, sagte Leah. »Max war wirklich ein bemerkenswerter Junge.«
Es bedurfte keiner weiteren Worte. Die Frauen umarmten sich, dann verließen sie gemeinsam das Sendehaus. Leah brachte ihre Freundin nach Hause und ließ sie auf ihren Wunsch hin allein. Carrie musste erst einmal alles verarbeiten, was sie heute erfahren hatte. Sie wollte sich Zeit geben, um um Max zu trauern. Und eines Tages, das wusste sie, würde das Licht zurückkehren.
Juni 2009
C arrie versuchte vergebens, sich zu konzentrieren. An manchen Tagen gelang es ihr besser als an anderen. Die Arbeit hatte wieder ein wenig Normalität in ihr Leben gebracht, aber heute war es zum Verrücktwerden. Die Leute, die versprochen hatten, sie beim Aufbau der Zentren zu unterstützen, ließen sie im Stich. »Das kommt davon, wenn man betteln geht«, murmelte sie. Da klingelte es an der Tür. Weil es Marthas freier Tag war, ging Carrie selbst hinunter, um zu öffnen.
»Eine Sendung für Max Quinell. Bitte hier unterschreiben.«
»Oh …«, machte Carrie erschrocken und schloss die Augen.
»Falsche Adresse?«, fragte der Mann vom Paketdienst.
»Nein, nein. Die Adresse stimmt schon«, erwiderte sie leise. Hin und wieder kam noch Post für ihn, der Hausarzt hatte kürzlich eine Impferinnerung geschickt, und es flatterte jede Menge Werbemüll ins Haus. Und wie durch eine Ironie des Schicksals war letzte Woche ein Junge aus Denningham da gewesen, um sich zu erkundigen, wie Max in seiner neuen Schule zurechtkam.
Der Bote hielt Carrie das elektronische Gerät zur Unterschrift hin. »Dann hole ich es mal aus dem Wagen. Ist ziemlich viel.«
Vom oberen Absatz der Vortreppe ihres Londoner Hauses aus sah Carrie zu, wie der Mann die Lieferung auslud. Am Ende standen sechs große Pakete in der Halle. Verblüfft schloss Carrie die Tür und betrachtete die Pakete. Eins von sechs … zwei von sechs … drei von sechs … stand darauf.
»Einer unter Millionen«, flüsterte sie.
Dann holte sie einen Brieföffner und schlitzte das Klebeband auf. Das erste Paket enthielt ein nagelneues Babybett, komplett mit Bettzeug und Matratze. Im zweiten lag ein Klappbuggy in Dunkelblau und Grau. Dann gab es noch eine Baby-Tragetasche. Alles in allem förderte Carrie eine vollständige Säuglingsausstattung zutage. Sie las das beiliegende Schreiben.
Sehr geehrter Mr Quinell, die Zeitschrift Perfekte Eltern gratuliert Ihnen ganz herzlich zu Ihrem Gewinn und wünscht Ihnen und Ihrer Familie viel Freude mit der hochwertigen Babyausstattung von ParentCare. In 130 Filialen im ganzen Land bietet ParentCare Ihnen und Ihrem Baby das Beste …
Weiter las Carrie nicht, weil ihr alles vor den Augen verschwamm. Sie ging in die Küche, um sich ein Taschentuch zu holen. Sie wollte gleich Dayna anrufen und sie bitten herzukommen, um ihr zu zeigen, was Max für sie und das Baby gewonnen hatte. Selbst jetzt, nach seinem Tod, war sie so stolz auf ihren Sohn.
Dennis saß in seinem Wagen und beobachtete das Haus. Es war keine gewöhnliche Überwachung. Na ja, irgendwie doch, dachte er und wickelte das Plunderteilchen aus, das er sich im Laden um die Ecke gekauft hatte. Nur wichtiger. Zwischen dem gepflegten frei stehenden Haus und seinem schäbigen, engen Reihenhäuschen lagen Welten, stellte er mit Bitterkeit fest. In der Einfahrt standen ein neuer Ford und ein weiteres Auto. Damit hatte er nicht gerechnet. Zu beiden Seiten der Haustür hingen Körbe, die von bunten Sommerblumen überquollen. Das auffällige Arrangement erschien ihm wie ein Sinnbild eines idyllischen Heims und stand in krassem Gegensatz zu den
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