Der fremde Sohn (German Edition)
nämlich einen neuen Hochdruckreiniger.
»Gefällt er dir?«
»Er ist phantastisch«, sagte sie.
»Jetzt kannst du in deinem Leben saubermachen.«
»Es funktioniert schon«, antwortete sie und konnte es kaum erwarten, das Ding aus seinem Karton zu holen.
Normalerweise aß Fiona Marton allein zu Mittag, nicht weil sie es so wollte, sondern weil Brody darauf bestand, sein Mittagessen allein zu verzehren. Zurückgezogen in seinem Büro, aß er ein Nudelgericht direkt aus der Pappschachtel und erwartete von Fiona, dass sie auf Abruf bereitstand, so dass sie nicht mit den anderen in die Mensa oder in das neue Restaurant um die Ecke gehen konnte. Doch das machte ihr nichts aus. Durch die gläserne Trennwand beobachtete sie, wie er zusammengesunken an seinem Schreibtisch hockte, aß, nachdachte und hin und wieder eine halbe Flasche Wasser in einem Zug trank. Nachdenklich betrachtete sie ihn, während sie ihr Sandwich – mit Käse und Salat, wie immer – verzehrte und dabei ihrer Phantasie freien Lauf ließ.
Heute jedoch war es anders. »Lass uns heute Mittag essen gehen«, sagte Brody am Vormittag, gleich nach seiner Vorlesung. Fiona, die gerade Briefe vom Band tippte, fiel fast vom Stuhl.
»Du meinst, wir beide?« Sie konnte ihn nicht ansehen. Obwohl er blind war, schien dieser Mann es zu merken, wenn sie auch nur blinzelte, und die Wärme zu spüren, wenn ihr das Blut in die Wangen stieg.
»Natürlich wir beide.« Er wartete auf ihre Antwort. »Also?«
»Ja«, erwiderte sie und fragte sich, was wohl der Haken an der Sache war. Er ging wieder in sein Büro, und sie sah, wie er auf seinem Laptop zu tippen begann. Die Sprachausgabe war so leise gestellt, dass sie kaum etwas mitbekam, doch Brody, das wusste sie, hörte jede einzelne Silbe und konnte so überprüfen, ob er alles richtig eingegeben hatte. »Das wäre sehr schön!«, rief sie und wünschte, sie hätte ihre neue Bluse angezogen.
Um ein Uhr saßen sie in einer Nische eines kleinen Cafés, das Fiona recht schäbig erschien. Es lag nicht weit von Brodys Wohnsiedlung entfernt, wie sie zu ihrem Leidwesen feststellte. Klebrige rote Plastikbänke umrahmten einen ebenso klebrigen Resopaltisch. »O Gott, den Laden hier solltest du sehen«, sagte Fiona. »Wie auf Fünfzigerjahre getrimmt, aber ich glaube fast, hier stammt wirklich noch alles aus den Fünfzigern. Das Essen eingeschlossen.«
Brody grunzte.
Seufzend griff sie zur Speisekarte. »Es gibt Spiegelei mit Schinkenspeck. Schinkenspecksandwich, Eiersandwich, Rührei mit Schinkenspeck, mit oder ohne Tom–«
»Ich nehme das Tagesgericht.«
Fiona blickte auf die Speisekarte, dann sah sie sich im Lokal um und entdeckte schließlich die Schiefertafel mit der Kreideschrift. »Es gibt wirklich ein Tagesgericht. Was ist es denn?«
»Jeden Tag was anderes.« Er verstummte, wandte sich nach links und wartete einen Augenblick lang. »Edie, wie geht’s?«, fragte er lächelnd.
»Großartig, Herr Professor, danke der Nachfrage. Ich bin zum sechsten Mal Oma geworden.« Voller Stolz strich Edie ihre Schürze glatt.
Fiona sah, dass noch mehrere andere Kellnerinnen hin und her eilten. Woher hatte er gewusst, dass es Edie war? Er musste schon früher hier gewesen sein, aber wann?
»Zweimal das Tagesgericht und zwei Kaffee, bitte«, sagte Fiona. Sie wollte es einfach hinter sich bringen und wieder zurück ins Büro. Von ihrem Essen mit Brody hatte sie sich mehr versprochen – mit ihm in einem schicken Restaurant zu sitzen und ihn vielleicht endlich sagen zu hören, was er all die Jahre für sie empfunden habe. Seufzend wickelte sie das Besteck aus der Serviette, die Edie auf den Tisch gelegt hatte.
Als sie wieder allein waren, räusperte sich Brody und sagte: »Ich bin aus einem bestimmten Grund mit dir hergekommen, Fiona.«
»Ja?« Ihr albernes Herz setzte einen Schlag aus. Es war nur ein einziger Schlag, doch es genügte, dass ihr Atem einen Moment lang stockte, und schon hatte Brody es gehört.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte er.
»Natürlich nicht.« Fiona versteifte sich. Wieso fielen einem Blinden Dinge an ihr auf, die sie selbst nicht bemerkte?
»Du musst mir die anderen Gäste beschreiben.« Seine Worte klangen knapp und bitter, denn Brody bat nicht gern um einen Gefallen und nahm Fionas Hilfe nur widerwillig in Anspruch. Er brauchte sie als Fahrerin und für einige Verwaltungsarbeiten, hatte er einmal vor Jahren in einem Interview gesagt, und Fiona erwähnte nichts von all den
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