Der fremde Sohn (German Edition)
da und in bester Ordnung, ganz im Gegensatz zu seinem übrigen Leben. Gut, der Schuppen war halb verfallen, das Dach mit einer alten Plane abgedichtet, und die Holzbohlen der Wände waren morsch, aber für Max war es sein eigentliches Zuhause. Hier fühlte er sich wirklich heimisch. Niemand störte ihn oder erhob Anspruch auf diesen zehn Quadratmeter großen Verschlag – wahrscheinlich eine alte Baubude –, der vergessen unter der Eisenbahnbrücke stand und den Max daher als sein rechtmäßiges Eigentum betrachtete. Vielleicht würde er eines Tages ganz hierherziehen.
Er setzte sich auf die zerschlissene Autorückbank, die er vom Kanalufer heraufgeschleppt hatte und die vermutlich aus einem alten Ford stammte. Dann zog er ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, steckte sich eine an und entzündete mit demselben Streichholz eine Duftkerze, die auf einer Holzkiste stand. Die Kerze in dem blauen Glas hatte zu einem Set mit Lavendel-Badeöl und Gesichtsmaske gehört, das er eigentlich seiner Mutter zum Muttertag hatte schenken wollen, aber dann … Er lachte und musste husten, als ihm der Rauch in die Lunge drang. Dieses billige Geschenkset hätte man besser einem Wohlfahrtsladen spenden sollen – oder auch nicht, dachte er, als er sich daran erinnerte, wie die Maske auf seinem Gesicht gebrannt hatte. Wahrscheinlich lausige Qualität. Danach hatte er eine Woche lang Pickel gehabt.
»So«, sagte er und betrachtete mit liebevollem Blick seine Sachen. »Wer und was ist als Nächstes dran?« Unter der Holzkiste zog er seine Liste hervor, die mittlerweile schon sechs Seiten lang war. Bei etwa dreißig Posten pro Seite machte es insgesamt fast zweihundert. Zweihundertmal Glück – oder, wie er es sah, eher Genie und Geschick. Besonders bei den Sachen mit den Slogans. Die gewann er meist. Für Sprache hatte er schon immer ein Gefühl gehabt.
Die Kartons stapelten sich bis zu der alten Plastikplane unter dem Dach. Unten die großen, darauf die kleineren. Das war sinnvoll und ordentlich und so, wie er es von seiner Mutter gelernt hatte. Die Sachen, die nicht in Kartons verpackt waren, hatte er in der Ecke aufgehäuft, so gut es ging. Es störte ihn, dass es hier keine rechten Winkel gab, keine Stabilität und Verlässlichkeit. Er konnte sicher sein, dass die aufgestapelten Schachteln mit den Toastern, Entsaftern, den Haarföhnen und Eisbereitern am nächsten Tag noch am gleichen Platz stehen würden, wohingegen die Haufen aus formlosen Verpackungen, langen Rollen und weichen Spielzeugen gern in sich zusammenfielen, so dass alles auf dem Boden verstreut lag, wenn er die Tür öffnete.
Max kaute an seinem Bleistift, während er mit dem Finger die Liste entlangfuhr. Er hatte lange Fingernägel, weil er damit besser Gitarre spielen konnte, aber seine Mutter mochte das Geschrammel nicht und hatte es ihm verboten. »Es ist wie Schmutz auf dem Fußboden, mein Schatz. Du ziehst doch auch deine dreckigen Schuhe aus, wenn ich dich darum bitte, nicht?« Er hatte seine Gitarre auf die Bahngleise gelegt, damit ein Zug darüberfuhr, was er jetzt bedauerte. Er wünschte beinahe, er selbst läge dort und würde von den Rädern zermalmt – wie sein altes Leben, das ihm so lieb gewesen war.
»Der Brotbackautomat«, stellte er sachlich fest. »Oder der Hochdruckreiniger.« Aber für wen?, überlegte er. Sein Vater war immer so undankbar, und Fiona … der gönnte er nicht das Schwarze unterm Nagel, geschweige denn einen seiner kostbaren Schätze. Die meisten seiner Lehrer und einige Mitschüler hatte er schon beschenkt. Letztere hatten sich über ihn lustig gemacht, das Zeug auf Ebay vertickt und das Geld für Schnaps und Kippen ausgegeben. Er hätte es natürlich genauso machen können, aber er tat es nicht. Er wollte die Hoffnung, die für ihn mit den Sachen verbunden war, nicht zerstören.
»Das Mädchen.« Er zuckte zusammen, weil er lauter gesprochen hatte als beabsichtigt. »Dasmädchen.« Er sprach es aus, als sei es ihr Name. »Miss Mädchen. Miss Dasmädchen, ich würde dir gern diesen Brotbackautomaten schenken als unverbindliches Freundschaftsangebot. Vielleicht können wir ja Freunde werden, Miss Mädchen.« Max verzog das Gesicht. Das haute nicht hin. Nicht den Backautomaten, entschied er. Er zog einen orange-weißen Karton aus dem Stapel, in dem der Hochdruckreiniger steckte. Die Verpackung war noch ungeöffnet. Jungfräulich. Das gefiel ihm. »Miss Mädchen, hier habe ich einen Hochdruckreiniger, den würde ich dir
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