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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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allgemein üblich, an auffälliger Stelle ein Bild des Dalai Lama anzubringen, damit das Heim gesegnet wurde, und es dann schnell hinter Mao zu verbergen, wenn offizieller Besuch eintraf. Noch vor einigen Jahren hätte allein der Besitz eines Fotos des Dalai Lama mit Sicherheit zu einer Haftstrafe geführt. Während die Frau auch Feng geräuschvoll mit Tee versorgte, schob Shan das Mao-Bild ganz nach unten, um das geheime Foto vollständig zu verbergen. Dann stellte er den Rahmen auf den Tisch, so daß das Bild von ihnen weg wies.
    Er ließ sich auf dem Teppich nieder und nahm dabei mit übergeschlagenen Beinen den Lotussitz ein, der von den Einheimischen bevorzugt wurde. Während der Kampagne zur Vernichtung der Vier Alten hatte man den Tibetern verboten, so zu sitzen. »Dieser besagte Klan hat einen Sohn namens Balti«, fuhr Shan fort. »Er hat in Lhadrung gearbeitet.«
    »Hierzulande bleiben die Familien unter sich«, sagte der Hirte. »Wir wissen nicht viel über die anderen Klans.« Die khampas starrten gereizt zu Boden und schauten ins Feuer. Shan wußte, weshalb sie nervös waren. Kein Chinese ließ sich hier blicken, der nicht entweder Wolle kaufen oder die Anzahl der Geburten kontrollieren wollte. Shan trank seine Schale leer, stand auf und ließ den Blick über die khampas schweifen. Niemand sah ihn an. Er ging zu dem Vorhang und zog ihn beiseite.
    Dahinter saßen zwei junge Frauen. Sie waren schwanger.
    »Das sind keine Kontrolleure«, sagte eines der Mädchen und schob sich kühn an ihm vorbei. Sie war höchstens achtzehn Jahre alt. »Nicht in Begleitung eines Priesters«, fügte sie hinzu und schenkte Yeshe ein trotziges Lächeln. Dann nahm sie sich eine Schale Tee. »Ich kenne den Dronma-Klan.«
    Eine der älteren Frauen herrschte sie an, sie solle den Mund halten.
    Das Mädchen ignorierte sie. »Spielt sowieso keine Rolle. Niemand könnte sagen, wo sie genau sind. Außerdem sind sie zu wenige, um ein großes Lager aufzuschlagen. Man könnte lediglich versuchen, die Hirtenzelte in den Hochtälern abzuklappern.«
    »Wo?«
    »Sprich ein Gebet für mein Baby«, sagte sie zu Yeshe und klopfte sich auf den Bauch. »Mein letztes Baby ist gestorben. Sprich ein Gebet.«
    Yeshe warf Shan einen unangenehm berührten Blick zu. »Ich bin dazu nicht berechtigt.«
    »Du hast die Augen eines Priesters. Ich möchte wetten, du stammst aus einem gompa.«
    »Das ist schon lange her.«
    »Dann kannst du auch ein Gebet sprechen. Mein Name ist Pemu.« Sie schaute sich trotzig im Zelt um. »Ich soll Pemee sagen, weil das chinesischer klingt. Wegen der Kampagne gegen die Vier Alten. Aber ich bin Pemu.« Als wolle sie die Behauptung unterstreichen, zog sie eine Haarnadel aus ihrem Schöpf und entrollte einen langen Zopf, in den Perlen aus Türkis eingeflochten waren. »Ich brauche ein Gebet. Bitte.«
    Yeshe sah Shan flehentlich an und ging dann nach draußen, als wolle er fliehen. Das Mädchen folgte ihm. Eine der Frauen schlug die Zeltklappe auf, um zu beobachten, was geschah. Das Mädchen rief Yeshe hinterher, ohne etwas damit zu erreichen. Dann lief sie ihm nach und fiel vor ihm auf die Knie. Als er versuchte, einen Schritt um sie herum zu machen, nahm sie seine Hand und legte sie sich auf den Kopf. Das schien ihn zu paralysieren. Schließlich holte er zögernd die Gebetskette aus der Tasche und fing an, zu dem Mädchen zu sprechen.
    Die angespannte Stimmung in dem Zelt verflog. Der Klan begann mit der Zubereitung des Abendessens. Eine der Frauen mischte tsampa und Tee, um daraus pak herzustellen, eine Hauptspeise der khampa. Ein Kessel mit Hammeleintopf wurde aufs Feuer gestellt. Eine andere Frau zog geschwärzte Brotlaibe aus der Asche. »Das Brot der drei Schläge«, erklärte sie und reichte Shan ein Stück davon. »Eins, zwei, drei«, zählte sie und klopfte mit dem Brotlaib gegen einen Stein. Beim dritten Schlag fiel die äußere Schicht aus Asche und Kohle ab und enthüllte eine goldfarbene Kruste. Shan wurde die erste Scheibe angeboten. Er brach sie in der Mitte durch, neigte den Kopf und legte eines der Stücke mit einer feierlichen Geste auf den behelfsmäßigen Altar.
    Der Hirte mit der Weste musterte Shan verblüfft. »Die Dronma«, sagte er dann, »folgen den Schafen. Die Yaks kommen im Frühling aus dem Hochland herunter, wo sie überwintert haben. Die Schafe gehen nach oben. Haltet nach kleinen Zelten Ausschau. Achtet auf Gebetsfahnen.« Er zeichnete eine Skizze in Shans Block und markierte sieben mögliche

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