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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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errichtet, das man aus tibetischen Tempeln gerettet hatte«, behauptete Tan. »Das war ein großer Dienst am Volk. Man hat eine Gedenktafel angebracht, die der tibetischen Minderheit dankt.«
    »Das hier ist ein Grab. Sie...«
    »Ressourcen sind äußerst knapp«, fiel Tan ihm ins Wort. »Sogar die Knochenfragmente wurden als Nebenprodukt eingestuft. Eine Düngemittelfabrik in Chengdu hat eingewilligt, sie zu kaufen.«
    Sie standen schweigend da. Shan kämpfte gegen das Verlangen an, auf die Knie zu sinken und ein Gebet zu sprechen.
    »Wir werden sie in die Wege leiten«, sagte Tan. »Ganz offiziell. Die Morduntersuchung.«
    Plötzlich fiel Shan alles wieder ein. Er schaute auf den Bericht in seiner Hand. Sein Herz raste. Tan hatte einen anderen Ermittler aufgetrieben. Jetzt wollte er die Spuren seines Fehlstarts beseitigen.
    »Die Untersuchung wird in meinem Namen durchgeführt. Du bist jetzt kein Kalfaktor mehr«, sagte Tan langsam. Irgend etwas vor ihnen erregte seine Aufmerksamkeit. »Genaugenommen weiß niemand darüber Bescheid. Du wirst mein...«, er suchte nach einem passenden Begriff, »... mein Sachbearbeiter sein. Mein Rechercheur.«
    Shan trat verwirrt einen Schritt zurück. Hatte Tan ihn wirklich nur deshalb in die Höhle gebracht, um ihn zu verspotten?
    »Ich kann den Bericht umformulieren. Ich habe mit Dr. Sung gesprochen. Aber die 404te ist das Problem. Ich kann dort von größerem Nutzen sein.«
    Tan hob abwehrend die Hand. »Ich habe darüber nachgedacht. Einen Wagen hast du bereits. Ich kann mich darauf verlassen, daß mein alter Kamerad Sergeant Feng ein Auge auf dich hat. Du kannst sogar deinen zahmen Tibeter behalten. Eine leere Baracke im Lager Jadefrühling wird soeben hergerichtet. Dort wirst du schlafen und arbeiten.«
    »Sie geben mir Bewegungsfreiheit?«
    Tan musterte weiterhin die Schädel. »Du wirst nicht fliehen.« Als er kurz zu Shan blickte, funkelten seine Augen grausam. »Weißt du auch, warum du nicht fliehen wirst? Mir ist das Vergnügen von Direktor Zhongs Ratschlag zuteil geworden.« Er drehte sich mit mürrischer, ungehaltener Miene zu Shan um. »Auf den höchsten Pässen liegt noch immer Schnee. Nasser Schnee, der schnell schmilzt. Es besteht Lawinengefahr. Falls du wegläufst oder meinen Bericht nicht fristgerecht ablieferst, werde ich eine Gruppe der 404ten dort hinschicken. Deine Gruppe. Auf die Klippen oberhalb der Straßen, um zu sehen, ob die Hänge abrutschen. Zur 404ten gehören nach wie vor einige der alten Lamas, die in den sechziger Jahren verhaftet wurden. Ich werde Zhong anweisen, mit ihnen anzufangen.«
    Shan starrte ihn entsetzt an. Das einzig Verläßliche an Tan schien der Zwang zu sein, Angst und Schrecken zu verbreiten. »Sie haben sie mißverstanden«, sagte er nahezu flüsternd. »An meinem ersten Tag in der 404ten wurde ein Mönch aus dem Stall gebracht. Er war dort wegen der Anfertigung einer unerlaubten Gebetskette bestraft worden. Zwei seiner Rippen und drei Finger waren gebrochen. Man konnte in dem Fleisch an seinen Knöcheln noch immer die Abdrücke der Zange sehen. Aber er war heiter und gelassen. Er hat sich nie beklagt. Ich habe ihn gefragt, weshalb er keinen Zorn verspürt. Wissen Sie, was er gesagt hat? >Wenn man cfen richtigen Weg beschreitet und durch Hindernisse in die Lage versetzt wird, den Glauben unter Beweis zu stellen, ist dies für den wahren Gläubigen ein höchst erfüllendes Erlebnis. <«
    »Du bist derjenige, der hier etwas mißverstanden hat«, erwiderte Tan. »Ich kenne diese Leute genauso gut wie du. Mit physischer Kraft werden wir sie niemals unterwerfen können. Andernfalls wären meine Gefängnisse nicht so voll. Du wirst nicht fliehen, aber nicht, weil sie den Tod fürchten, sondern weil du fürchtest, für ihren Tod verantwortlich zu sein.«
    Tan ging noch einmal sechs Meter den Gang entlang, bis zu der Stelle, an der die Männer mit den Scheinwerfern stehengeblieben waren. Die zwei Soldaten wirkten verstört und ängstlich. Einer der beiden zitterte. Als Shan die Gruppe erreichte, nahm Tan eine der Lampen und richtete sie auf das dritte Regalbrett. Dort lag zwischen zwei der goldenen Schädel ein weiterer Kopf, der zweifellos erst kürzlich an diesem Ort plaziert worden war. Das dichte schwarze Haar, das Fleisch und der Unterkiefer waren noch vorhanden. Die braunen Augen standen offen. Er schien die Besucher spöttisch und gelangweilt anzusehen.
    »Genosse Shan«, verkündete Tan, »ich darf dich mit Jao Xengding bekannt

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