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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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entfernt, an der Shan ihn zurückgelassen hatte. Der Groll war aus seiner Miene verschwunden.
    »Haben Sie irgendwelche Geister gesehen?« fragte er Shan.
    Shan schaute zurück auf den Abhang. »Ich weiß es nicht.«
    Nachdem Sergeant Feng den letzten Bergkamm hinter sich gelassen hatte und den Weg hinunter zum Plateau einschlagen wollte, hielt er den Wagen an, um sich anhand der Karte zu vergewissern. »Hier sollte doch eine Mine sein«, murmelte er. »Von einer Fischzucht hat niemand was gesagt.«
    Unter ihnen erstreckten sich über eine weite Fläche zahlreiche künstlich angelegte Seen, so daß quer über die gesamte Hochebene ein großes ordentliches Rechteck neben dem anderen lag. Verwirrt musterte Shan die Szenerie. Am Ende der Straße befanden sich drei langgestreckte niedrige Gebäude, die in einer Reihe vor den Teichen angeordnet waren.
    Auf dem Gelände herrschte keinerlei Aktivität, aber vor den Gebäuden stand ein Militärlaster. Tan hatte seine Pioniere geschickt. Vor dem Eingang des mittleren Hauses standen ein Dutzend Männer in grünen Uniformen und hörten jemandem zu, der auf den Stufen saß.
    Niemand achtete auf Shan und Yeshe, als sie ausstiegen, aber sobald Sergeant Feng sich blicken ließ, kam Bewegung in die Soldaten. Sie zerstreuten sich eilig und mieden sorgfältig jeden Blickkontakt mit den Besuchern. Nun konnte man erkennen, wer dort mit einem Klemmbrett in der Hand auf der Treppe saß. Es war die amerikanische Leiterin der Mine, Rebecca Fowler. Warum, fragte Shan sich plötzlich, schickte Tan seine Pioniere, wenn doch das Ministerium für Geologie die Betriebserlaubnis der Mine außer Kraft gesetzt hatte?
    Die Begrüßung der Amerikanerin bestand aus einem Stirnrunzeln. »Das Büro des Oberst hat angerufen. Es hieß, Sie wollten mit uns sprechen«, sagte sie langsam und präzise auf Mandarin. Sie stand auf und verschränkte die Arme, so daß das Klemmbrett an ihre Brust gedrückt wurde. »Aber ich weiß nicht, wie ich meinem Team Ihre Anwesenheit erklären soll. Er hat das Wort inoffiziell benutzt.«
    »Theoretisch ist dies eine Untersuchung für das Justizministerium.«
    »Aber Sie sind kein Angehöriger des Ministeriums.«
    »In China ist es eine Art Kunstform, sich mit der Regierung auseinanderzusetzen«, entgegnete Shan.
    »Er hat gesagt, es gehe um Jao. Aber er würde das gern geheimhalten. Eine theoretische Untersuchung. Theoretisch und geheim«, sagte sie mit einem herausfordernden Funkeln im Blick.
    »Ein Mönch wurde verhaftet. Da gibt es nicht mehr viel geheimzuhalten.«
    »Dann ist der Fall also geklärt.«
    »Das hängt von der späteren Beweislage ab.«
    »Ein Mönch wurde ohne Beweise verhaftet? Sie meinen, er hat ein Geständnis abgelegt?«
    »Nicht unbedingt.«
    Die Amerikanerin warf wütend die Arme empor. »Genau wie bei meinen Arbeitspapieren. Ich habe von Kalifornien aus den Antrag gestellt. Man hat mir gesagt, man könne keine Arbeitspapiere ausstellen, weil ich ja noch gar nicht hier arbeiten würde. Also habe ich geschrieben, daß ich kommen und den Antrag vor Ort stellen würde. Die Antwort lautete, ich dürfe ohne Arbeitspapiere nicht einreisen.«
    »Sie hätten sagen sollen, das Geld für Ihr Projekt würde erst dann überwiesen werden, wenn Sie vor Ort den Empfang bestätigen könnten.«
    Fowler schnitt eine Grimasse. »Mir ist etwas Besseres eingefallen. Nachdem ich drei Monate lang Faxe geschickt hatte, bin ich als Mitglied einer japanischen Reisegruppe nach Lhasa gefahren. Per Anhalter auf einem Lastwagen ging es dann weiter bis zu Jaos Büro. Dort habe ich ihn gebeten, mich zu verhaften. Weil ich nämlich ansonsten anfangen würde, das einzige ausländische Investitionsprojekt des Landes ohne meine Arbeitspapiere zu leiten.«
    »So haben Sie ihn kennengelernt?«
    Sie nickte. »Jao hat eine Weile darüber nachgedacht und ist dann in Gelächter ausgebrochen. Innerhalb von zwei Stunden hat er mir die Papiere besorgt.« Sie wies auf die Tür und ging voran in einen großen offenen Raum, in dem mehrere Schreibtische zu zwei großen Quadraten angeordnet waren. An einigen der Tische saßen Tibeter in weißen Hemden. Die meisten der Männer verließen sofort den Raum, als sie die Besucher sahen.
    Fowler blieb neben der Tür eines angrenzenden Konferenzzimmers stehen, doch Shan ging zu einem der Schreibtische. Der Tisch war mit seltsamen Landkarten bedeckt, die leuchtend bunt waren und keinerlei Grenzlinien aufwiesen. Shan hatte dergleichen noch nie zu Gesicht

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