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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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die Stufen hinunter.
    »Deine Mitgliedschaft in der Music Hall Ladies’ Guild kannst du vergessen«, rief Louise, als sie endlich auf der Straße stand und ihren Mantel anzuziehen versuchte, den rechten Arm aber versehentlich in den linken Ärmel steckte und durcheinandergeriet. »Betrachte sie als aufgehoben!«
    »Verschwinde schon, alte Schlampe«, rief Cora. »Wahrscheinlich hockt da draußen irgendwo ’n dreckiger Besoffener in der Gosse, der bereit ist, ein paar Shilling für dich zu berappen. So kannst du dir das Geld fürs Taxi verdienen.«
    Sie ging zurück ins Wohnzimmer, wischte sich den Speichel vom Kinn und sah ihren Mann zitternd dastehen. »Was machst du denn noch hier?«, fragte sie, ging zu ihm und schlug ihm brutal ins Gesicht. »Komm schon. Verschwinde.
Raus mit dir!
« Sie schlug und boxte ihn, bis auch er auf der Straße stand und entsetzt zu ihr hinaufblickte. »Komm bloß nicht zurück«, schrie sie, »ich bin fertig mit dir!«
    Sie knallte die Tür zu und brach zusammen. Sie hasste ihr Leben. Sie hasste ihren Mann. Sie hasste London. Aber jetzt würde alles anders werden. Ihre Freundinnen hatte sie verloren, doch was machte das schon? Morgen früh, beschloss sie, würde sie aufstehen, ihre Taschen packen und Hawley für immer verlassen. Sie würde London den Rücken kehren und an einen Ort ziehen, wo man ihr Talent zu schätzen wusste. Sie marschierte die Treppe zum Schlafzimmer hinauf, warf sich aufs Bett und konnte lange nicht einschlafen, so sehr wurde sie von ihrer Wut geschüttelt.
    Wie immer hatte sie ein Glas Wasser neben dem Bett stehen, weil sie etwas trinken musste, wenn sie nachts aufwachte. Sie wusste nicht, dass sie den Morgen nicht mehr erleben würde.
     
    Um drei Uhr morgens fiel leichter Nieselregen auf London, und er trug denselben langen Mantel und Hut wie beim Kauf des Gifts an jenem Nachmittag. Seitdem hatte er sich auch noch ein Paar passende Handschuhe gekauft. Er konnte es kaum glauben, dass er seinen Plan jetzt tatsächlich ausführen würde. Bis zuletzt war er nicht sicher gewesen, ob er es je tun würde, aber doch, jetzt war es so weit. Zu viel war geschehen, als dass er seine Meinung noch einmal ändern würde. Es war zu viel geworden. Die Schläge, das Geschrei, die Demütigungen, und er wollte die wahre Liebe, die er gefunden hatte, nicht verlieren. Wie konnten sie je zusammenkommen, wenn ihnen diese Frau im Wege stand? Es gab nur eine Möglichkeit. Er musste sie loswerden.
    Etwas an seinem Anblick, während er langsam in Richtung 39  Hilldrop Crescent ging, ließ selbst die durch die Straßen streunenden Hunde in ihrem Gebell innehalten und ihm nachsehen. Seine Haltung schien ihnen zu sagen, dass es ein Fehler wäre, ihn mit ihrem Lärm zu provozieren. Er war entschlossen, da bestand keine Frage. Er griff in seine Taschen. Links waren die Flasche und ein Taschentuch, rechts drei feste, scharfe Messer, um die Tat zu vollenden. Das Herz schlug ihm schnell in der Brust, doch er hatte keine Angst. Trotz seiner religiösen Erziehung fürchtete er Gott und seine Strafe nicht. Cora Crippen, so sagte er sich, war ein Teufel, sie hatte auf dieser Erde nichts mehr verloren. Das Glück zweier Menschen hing von ihrem Tod ab. Sie brachte nur Qual und Elend über alle um sie herum, und so war es nichts als eine lohnende Tat, wenn er sie aus der Welt entfernte.
    Er blieb nur kurz vor dem Haus stehen, um sich zu versichern, dass drinnen kein Licht mehr brannte. Die Schlüssel hielt er bereits in der Hand. Erst steckte er den falschen ins Schloss, mühte sich damit ab, fand dann aber den richtigen und öffnete die Tür. Einen Moment lang hielt er inne und lauschte auf Geräusche von drinnen. Es war nichts zu hören, und so trat er ein und machte die Tür leise hinter sich zu. Er überlegte, ob er den Mantel ausziehen und in die Diele hängen sollte – schließlich konnte er sich Zeit lassen –, entschied sich aber dagegen. Je weniger Lärm er machte, umso besser.
    Langsam ging er die Treppe hinauf, hörte den eigenen Atem und war so gut wie überzeugt, dass er sie wecken musste. Vor ihrer Schlafzimmertür blieb er stehen, nahm die Flasche aus der Tasche, schraubte den Deckel ab und achtete darauf, nicht zu tief einzuatmen, während er das Gefäß fest in der Hand hielt. Dann legte er eine behandschuhte Hand auf die Klinke, öffnete die Tür langsam, stand in der Dunkelheit und betrachtete die daliegende Gestalt.
    Cora hatte die Decke halb von sich gestoßen, lag mit freiem

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