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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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für Honig aus, um meine Stimme morgens und abends zu schmieren. Gott, das ist wahrscheinlich so viel, wie Sie ausgeben, um Baby zu füttern.«
    Mrs Jennings überlegte, ob sie Cora bei den Haaren packen und ihren Kopf so lange gegen die Wand schmettern sollte, bis ihr das Blut aus den Ohren lief, doch sie zügelte sich.
    Zwischen den beiden Stockwerken am South Crescent herrschten eine eher wackelige Harmonie und das unausgesprochene Gefühl, dass die im Parterre »unter der Treppe« lebten, während die oben sich für etwas Besseres hielten. Was die Ehemänner der beiden Frauen anging, so sprachen sie kaum miteinander, hatten sie doch rein gar nichts gemeinsam. Hawley Crippen unterschied sich so sehr von dem versoffenen Faulpelz Paddy Jennings, wie man es sich nur vorstellen konnte. Es erstaunte Hawley, dass das Gesicht des Mannes ständig mit dicken Stoppeln überzogen war, die er nie abrasierte, die sich aber auch nie zu einem richtigen Bart zu entwickeln schienen. Er fragte sich, ob das ein medizinisches Wunder war, und überlegte, darüber einen Aufsatz für das
British Medical Journal
zu schreiben. Die beiden Männer trafen von Zeit zu Zeit in der Diele aufeinander, der eine in Unterhemd und Hose, Zigaretten rauchend und nach Schweiß und Alkohol stinkend, der andere mit Anzug und Krawatte, den Schnauzbart ordentlich gekämmt, einen Spazierstock in der Hand, das Gesicht müde und erschöpft. Sie hatten einander wenig zu sagen. Hawley grüßte stets nur mit einem Nicken und spürte die Verachtung in Jennings’ Blick.
    »Er iss genau von der Sorte, der ich gerne was auf die Nase geb’n würde«, sagte Mr Jennings oft zu seiner Frau, bevor er ihr eins verpasste. »Ich weiß auch nich’, warum, aber ich würd mich ’n ganzes Stück besser fühl’n.«
    Signor Berlosci wohnte nicht weit von den Crippens in einem Haus am Tavistock Square, das er von seiner kinderlos gebliebenen Tante geerbt hatte. Cora hatte eine Anzeige von ihm in der
Times
gesehen, ihn anfangs der Woche aufgesucht, und sie hatten einen Termin für den heutigen Tag vereinbart. Um einen guten Eindruck zu machen, hatte sie ihr bestes Kleid angezogen und ihren schönsten Hut aufgesetzt und war gleich angetan gewesen von der opulenten, wenn auch ziemlich kitschigen Atmosphäre, mit der sich Berlosci umgab. Er war Italiener, lebte seit fast acht Jahren in London, trainierte viele aufstrebende Sängerinnen und Schauspielerinnen und betrachtete es als persönlichen Misserfolg, wenn sie innerhalb eines Jahres nach dem Absolvieren seines Programms keinen Erfolg hatten. Zu seinem Training gehörten Atemübungen, Sprech- und Gesangstechniken und die Verführung durch den Lehrer selbst. Als alleinstehender Mann wusste er von sieben Kindern, die er gezeugt hatte, kannte aber keines von ihnen. Auch sein letzter Geburtstag, sein fünfzigster, hatte keinen Rückgang seines libidinösen Appetits eingeläutet. Wenn überhaupt, so betrachtete er sein Alter als besondere Herausforderung und durchforstete schamlos Londons Theater und Music Halls. Wenn ihn Cora auch nicht sofort angezogen hatte – ihr breites Kreuz war das, was jedem zuerst an ihr auffiel, gleich gefolgt von dem gekräuselten dunklen Haar und den schmalen Lippen –, beherzigte er doch die Regel, keine mögliche Geliebte aufgrund fehlender körperlicher Anziehung zurückzuweisen. Der persönliche Genuss war das Einzige, was ihm wichtig war, in musikalischer wie romantischer Hinsicht, und den konnten ihm auch hässliche Frauen verschaffen.
    »Mrs Crippen«, hatte er gesagt und es mit dem italienischen Akzent ein wenig übertrieben, als er, gehüllt in eine Wolke aus Flieder-Aftershave und Haarwasser, das Zimmer betrat. (Der erste Eindruck war ihm ebenfalls wichtig.) »Ich bin erfreut, Sie wiederzusehen. Sie sind gekommen, mich mit Ihren Talenten zu erregen, habe ich recht?«
    »Ich hoffe es, Signor Berlosci«, antwortete sie geschmeichelt und fühlte sich zugleich angezogen. »Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass ich Ihnen viel Arbeit machen werde, ich brauche nur ein wenig Hilfe. Ich war in New York ein ziemlicher Star, wissen Sie.«
    »Sie haben in New York gesungen?«
    »O ja, überall am Broadway«, log sie. »Als Bella Elmore. Ich bin dort sehr bekannt und nur deshalb in London, weil sich mein Mann, Dr. Crippen, hier in der Stadt mit einer Praxis niederlässt. Wie es der Zufall will, bekommt er gerade heute seine Zulassung, und ich möchte meine Gesangskarriere hier in London

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