Der Friedhofswächter
mit kratzenden Geräuschen zurückzog und Johnny allein ließ. Er stand in der Höhle, durch deren Eingang schwaches Licht nach unten fiel.
Johnny schaute an sich herab.
Und plötzlich wußte er, was so geknackt hatte, als er den Grund berührte. Es waren Knochen…
Fahlweiß schimmerten die Gebeine, mit denen der gesamte Höhlenboden ausgefüllt war. Hierherhatte der Werwolf die Reste geworfen, hier war sein Versteck, und Johnny hatte er ebenfalls in diese schaurige Umgebung geschafft.
Der Junge bekam fast etwas über sich. Wo er hintrat, er hörte nur dieses Knacken und lehnte sich schließlich an eine feuchte Wand, wo er seinen Tränen freien Lauf ließ.
Es war gut, daß er weinte. Er spürte die Kälte des Lehms am Rücken, und über die Haut an seinem Nacken krabbelten kleine Käfer, was er kaum registrierte.
Johnny fühlte sich so allein und verlassen wie nie zuvor in seinem Leben.
Es dauerte eine Weile, bis der Tränenfluß gestoppt war und er auch wieder klarer sehen konnte. Automatisch wischte er seine Augen trocken, blickte nach vorn, erkannte auch über sich die Höhlenöffnung und sah ebenfalls die Schräge, die hochführte. Sie kam ihm vor wie eine Röhre, durch die er vielleicht klettern konnte.
Der Junge dachte zunächst nicht weiter darüber nach, bis ihm abermals der Gedanke kam.
Ja, der Werwolf lauerte nicht mehr am Ausgang. Er sah den grauen Kreis sogar ziemlich deutlich, durch den er sich ins Freie schieben konnte und diese Idee in die Tat umsetzte.
Dabei hatte er Mühe, die ersten Schritte zu gehen. Er wankte, denn die zahlreichen Knochen unter seinen Füßen gaben ihm kaum Halt. Er hatte die Arme ausgestreckt, so konnte er besser das Gleichgewicht halten. Als die Schräge vor ihm erschien, ließ er sich nach vorn fallen und stützte sich ab.
So wartete er, hörte das Schaben der bleichen Gebeine und vernahm abermals ein splitterndes Geräusch, als unter ihm wieder etwas durch den Druck zerplatzte.
Er mußte weg!
Und Johnny versuchte es.
Es würde nicht leicht werden, den schrägen Tunnel in die Höhe zu klettern. Die Erde war glatt und auch feucht. Nirgendwo wuchsen Wurzeln aus den Rändern, an denen er sich auf seinem Weg zum Ziel hätte festklammem können.
Dennoch gab er nicht auf. Johnny schlug seine Fingernägel in den Lehm, er wollte so einen besseren Halt bekommen, rutschte wieder ab, begann von vorn, keuchte, drehte sich, winkelte die Arme an und stemmte seine Ellenbogen rechts und links gegen die Wand. So klappte es besser.
Der Schweiß lief in Strömen über das Gesicht des Kindes. Manchmal konnte er nichts sehen, weil ihm das salzige Zeug auch in die Augen rann. Johnny aber biß die Zähne zusammen.
Zentimeter für Zentimeter schob er sich höher. Er hörte sich keuchen, schmeckte den salzigen Schweiß, wühlte sich weiter und rutschte nicht mehr zurück.
Die Öffnung kam näher!
Er sah sie bereits zum Greifen nahe vor sich. Nur noch wenige Fingerlängen mußte er sich hochschieben, um den Rand umfassen zu können, dann hatte er es hinter sich.
Und er schaffte es.
Mit der Rechten zuerst umklammerte er den Rand, stützte sich mit den Knien noch ab und versuchte, die Linke nachzuschieben. In diesem Augenblick schob sich der Schatten heran und verdunkelte die Öffnung.
Zuerst dachte Johnny an den Werwolf, dann an eine Hilfe von seinen Eltern.
Doch ein anderer war gekommen!
Nadine, die Wölfin!
Vor der Öffnung drehte sie sich, so daß sie in den Tunnel hineinschauen konnte. Auch Johnny blickte in ihr Gesicht, sah die ihm bekannten Tierzüge, und es waren wieder einmal die Augen, die ihn schockierten. So tot, so anders und auch leer!
Sie öffnete das Maul. Sehr langsam geschah dies. Der Junge sah die Zähne und hatte den Eindruck, als wollten sie zubeißen. Das taten sie auch.
Johnny zuckte zurück, weil sie dicht vor seinem Gesicht zusammenschlugen, doch der Kopf drehte sich, und der Junge spürte den Biß wie schmerzhafte Nadelstiche auf seinem Handrücken. Er mußte loslassen!
Seine rechte Hand rutschte ab, er selbst konnte das Gleichgewicht ebenfalls nicht halten und rutschte den gleichen Weg wieder zurück, den er gekommen war.
Dabei schrie er. Zuerst klang der Schrei noch hell, doch die stickige Dunkelheit der Höhle saugte ihn förmlich auf, so daß er zuletzt einen dumpfen Klang bekam. Johnny fiel zwischen die Gebeine. Und wieder hörte er das Krachen und Splittern, als die Knochen unter seinem Gewicht zusammenbrachen. Nichts konnte ihn mehr aufhalten.
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