Der Friedhofswächter
Entsetzen stumm!
Mit einer ebenfalls langsam wirkenden Bewegung zog die Bestie Johnny dicht an sich heran. Die Füße des Jungen schleiften durch das Laub. Er war steif wie eine Säule, und die funkelnden, kalten Augen schienen seine Seele zerschneiden zu wollen.
Nicht nur der Junge zitterte, auch der Wolf, und dieses Zittern übertrug sich auf Johnnys Körper.
Den ersten Schrei stieß er aus, als der Werwolf ihn plötzlich in die Höhe riß.
Johnny erlebte einen plötzlichen Schwindel, er wußte nicht, wo er sich überhaupt befand, die Kronen der Bäume schwankten, und als er sich wieder gefangen hatte, lag er auf den fellbewachsenen Armen der Bestie wie ein Kleinkind.
Sein Kopf wurde am Nacken gestützt. Er konnte in die Höhe schauen und sah über sich die häßliche Fratze des Untiers. Bei jedem Schritt wippte auch der Kopf, und zwischen den Kiefern hingen gelblich-weiße Geiferfäden.
Er ging mit ihm weg.
Schon nach wenigen Schritten hatten sie den Muldenrand erreicht und kletterten ihn hoch. Johnny spürte den harten Griff der Pranken. Er wußte, daß er sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnte und bekam eine fürchterliche Angst.
Er wollte zu seinen Eltern, versuchte zu sprechen, nach ihnen zu schreien, aber die krächzenden Laute, die er ausstieß, verklangen in der Düsternis des Waldes.
Niemand war da, der ihm helfen konnte.
Und so ging die Bestie mit ihrer Beute tiefer in den Wald, der ihr gehörte, schon immer gehört hatte, all die Jahre, wo sie hier ihre Opfer fand. Sie bahnte sich ihren Weg. Mit wuchtigen Tritten zerstörte sie das Unterholz. Es machte ihr auch nichts aus, durch Brombeersträucher zu gehen.
Eine düstere Alptraumgestalt, mit einem Opfer auf den Armen, das der Joker in seinem Spiel werden würde. Von Fenris waren die Befehle gekommen. Er wußte genau, was er zu tun hatte. Um eine Wölfin ging es, aber der Junge, das Kind, sollte den Weg zu ihr bereiten. Vielleicht hat es der Herrgott gerade mit Kindern besser gemeint und einen seelischen Schutzschild bei ihnen verstärkt, denn bei Johnny flaute die schreckliche Panik ab, je mehr Zeit verging und je tiefer sie in den Wald hineinschritten.
Zweige und Blätter streiften ihn. Manche waren naß und blieben fast kleben. Auch peitschten sie gegen sein Gesicht, und wenn die Bestie wieder durch stacheliges Brombeergestrüpp schritt, drehte Johnny sein Gesicht zur Seite und tauchte es ein ins Fell.
Dann nahm er den Geruch wahr.
Der Pelz roch nach alter Erde, nach Moder und Verwesung. Auch nach Tod und Friedhof, als wäre die Gestalt schon uralt. Der Junge merkte kaum, daß die Bestie nicht mehr weiterging. Erst als er von den Armen rutschte, wurde ihm dies bewußt. Zitternd blieb er stehen und mußte von seinem Entführer festgehalten werden, sonst wäre er zusammengebrochen.
Mitten im tiefen Wald lag eine kleine Liahtung. Zur einen Seite hin wurde sie von dichtem Unterholz versperrt, durch das sich wohl niemand wühlen konnte, bis auf den Werwolf.
Der bückte sich und schleuderte mit seinen Pranken Reisig und dornen bewehrte Zweige zur Seite.
Starrund noch immer fassungslos schaute Johnny zu. Obwohl ihm die Bestie ihren breiten Rücken zudrehte, kam ihm nicht einmal der Gedanke zur Flucht. Er würde ihr nicht entgehen können, das stand fest. Aber er sah genau, was der Werwolf durch seine Aktivitäten freigelegt hatte.
Den Eingang einer Höhle!
Dunkel, düster und drohend. Was in oder hinter ihm lag, konnte Johnny nicht erkennen, doch als ihn die Bestie anstarrte, wußte er, was sie mit ihm vorhatte. Einen Schritt ging er zurück. Der Arm war schneller.
Johnny spürte die Pranke an seiner Hüfte, wo sie eisern festhielt, so daß er sich nicht mehr wehren konnte. Wieder war es die Angst, die in ihm hochsprang. Er versteifte sich, wurde herangeholt, hochgehoben und über dem schrägen Loch nach unten gedrückt.
Johnny Conolly fiel. Er schlug mit den Hacken zuerst auf und rutschte die schiefe Ebene hinab, bis er Widerstand spürte und auch etwas knacken hörte.
Er sackte zusammen. Der Ruf nach seiner Mutter drang automatisch über seine Lippen, und als er in die Höhe schaute, verdunkelte das schreckliche Gesicht der Bestie das Rund des Höhleneingangs. Dort lauerte sie…
Johnny legte beide Handflächen nebeneinander. »Bitte«, flüsterte er.
»Bitte, laß mich frei…«
Diesmal bekam er eine Reaktion. Es war ein gefährliches Knurren, und die gelben Augen schienen noch stärker zu leuchten, bevor sich das Untier
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