Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
Sie betrachtete das fertige Kunstwerk aus Gras in seiner Hand. »Kann ich mal sehen?«
»Das ist für dich«, sagte er.
»Es ist wunderschön.«
Sie errötete, als er ihr das Geschenk überreichte.
»Es ist nur ein Fisch.« Er lächelte.
»Ich weiß. Fische sind meine Lieblingstiere.«
»In deiner Gegenwart fühle ich mich wohl, Wei.«
»Das will ich hoffen.«
»Du weißt, dass ich morgen in aller Frühe aufbrechen muss?«
»Ja, und der Abschied wird uns bestimmt nicht leichtfallen.« Sie hätte sich ohrfeigen können. Warum sagte sie nicht einfach, was sie sagen wollte?
»Du glaubst gar nicht, wie sehr mir das Dorf fehlen wird, wenn auch nicht halb so sehr wie du«, sagte er.
Wieder errötete sie und sah aufs Wasser.
Er fuhr fort. »Wei, ich muss dich etwas fragen. Ich habe diese Frage noch nie jemandem gestellt. Sie ist sehr persön lich, die vielleicht persönlichste Frage, die ein Mann einer Frau überhaupt stellen kann.«
Sie verspürte eine Mischung aus Freude und Beklommenheit, doch ihr fehlten die Worte.
Phan redete unbeirrt weiter. »Ich habe den ganzen Tag hin und her überlegt. Aber ich muss es wissen. Verstehst du? Meine Familie … ich bin sehr konservativ erzogen. Ich bin mit Idealen groß geworden, auf die in der heutigen Zeit offenbar kein Wert mehr gelegt wird. Wenn ich dich frage, wirst du mich wahrscheinlich für unhöflich und altmodisch halten. Und doch weiß ich nicht, wie ich meine Frage formulieren soll. Wei, jeder Mensch besitzt eine Gabe, ein Geschenk von Gott. Mit diesem Geschenk wird er geboren, und er allein entscheidet, ob und wann er es mit anderen teilt, obwohl manche Leute seinen wahren Wert niemals erkennen … ach, was rede ich.Wei, du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber ich war noch nie mit einer Frau zusammen, sexuell.«
Sie hatte die Luft angehalten, und als sie ausatmete, klang es wie ein Keuchen. Ihr Gesicht nahm die Farbe einer überreifen Chilischote an.
»Ich wollte mein Geschenk sorgsam hüten, bis ich jemanden kennenlerne, der seiner würdig ist. Ich muss wissen …«, fuhr er fort.
»Schon gut, Phan«, sagte sie, doch sie war derart verblüfft, dass sie ihm nicht in die Augen sehen konnte. Sie sprach mit dem Teich. »Ich verstehe, und ich finde dich weder unhöflich noch altmodisch. Es braucht dir nicht peinlich zu sein. Im Gegenteil. Ich finde es wunderbar. Ich habe auch noch nie … ich meine, mit einem Mann … und überhaupt.«
Dass es ihr die Sprache verschlagen hatte, gefiel ihm, und er lachte mit. Er nahm ihre Hände. Sie waren feucht und zitterten, wie eklig. Hätte er ihre Finger früher schon berührt, wäre er jetzt nicht hier gewesen. Aber es war zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen.
»Dann gibt es doch eigentlich keinen Grund, weshalb ich nicht mit deinen Eltern sprechen sollte.«
Sie entzog ihm ihre Hand, nicht, weil sie es so wollte, sondern weil es sich so gehörte. Sie stand auf und kehrte ihm den Rücken zu. Schlug sich die Hände vors Gesicht.
»Ist es so schlimm?«, fragte er.
Sie sprach durch ihre Fingermaske. »Nein, es ist … ich freue mich.«
Gut, eine Frau, die nicht viele Worte machte. Es gab nichts Schlimmeres als Weiber, die den Mund nicht halten konnten – blablabla, in einer Tour, entsetzlich. Als sie die Fassung schließlich zurückgewonnen hatte und sich zu ihm umdrehte, zeigte er ihr den Ring. Es war ein schlichter Fingerreif aus Gold.
»Wo hast du …?«
»Er hat meiner Mutter gehört«, sagte er. »Ich trage ihn immer bei mir, als Andenken. Das ist eine alte Tradition, die unsere Familie von den Franzosen übernommen hat. Ich weiß, ich darf ihn dir erst geben, wenn ich mit deinem Vater gesprochen habe, aber ich war neugierig, ob er dir passt.« Wieder nahm er ihre schweißtriefende Hand und steckte ihr den Ring an den Finger, den man im Westen den Verlobungsfinger nannte. Am Gelenk blieb er kurz hängen, dann glitt er ganz hinunter. Er lag immer richtig. Er hatte ein gutes Dutzend Ringe verschiedener Größe in seinem Laster und konnte mit erstaunlicher Treffsicherheit und ebensolchem Augenmaß erkennen, welcher passen würde. »Er ist leider sehr schlicht. Er ist nichts weiter als ein Symbol meiner Aufrichtigkeit. Mit dem Ehering werde ich mir etwas mehr Mühe geben. Ehrenwort.«
»O nein, Phan. Er ist perfekt.«
»Nein, Wei. Du bist perfekt. Glaub mir.«
Die Hälfte der Woche war vorbei, und im Fall der erdrosselten jungen Frau gab es noch immer keine heiße Spur. Das Band, das als
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