Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
neben ihn. Er erzählte ihr von seinem Besuch beim Vater des verrückten Inders und dem Umstand, dass der schweigsame und gemütskranke Rajid die herrlichsten Gedichte verfasste. Daeng meinte, die Buchstaben erinnerten sie an eine Gummiplantage, eine Ansammlung von Bäumen, scheinbar ohne jede Ordnung, bis man sie aus dem richtigen Winkel betrachtete. Dann standen sie plötzlich fein säuberlich in Reih und Glied.
»Und was schreibt unser verrückter Poet?«, fragte sie.
Siri hielt das Blatt Papier hoch und rezitierte wie ein greiser Gelehrter:
Unter dem Rock der alten Französin
Schwarze Spitze und ein Hauch von Rosa
Der Tochter kalte Tochter
Verborgen in einem finsteren Winkel.
»Auf Hindi hat es sich vermutlich gereimt«, befand Daeng.
»Und einen Sinn ergeben«, ergänzte Siri.
»Die Lösung zu finden macht bestimmt einen Heidenspaß. Das ist wie bei einer Schnitzeljagd. Also ran an den Speck.«
»Bhiku ist offenbar der Ansicht, dass es sich bei der alten Französin um eine der Kolonialzeitvillen in der Samsenthai Road handelt.«
»Ach ja? Dann schauen wir sie uns doch mal aus der Nähe an.«
»Willst du dich nach einem harten Arbeitstag denn nicht entspannen?«
»Nach einem harten Tag am Nudelkessel will ich vor allem eins: mein sträflich unterfordertes Gehirn anstrengen. Pack die Taschenlampen ein. Ich werfe mich nur noch rasch in meine Detektivkluft.«
Sie beschlossen, die kurze Strecke zu den drei Kolonialzeithäusern an der Hauptstraße zu Fuß zurückzulegen. Daeng hegte die feste Überzeugung, dass sich Arthritis ganz einfach dadurch kurieren ließ, dass man sie komplett ignorierte. Irgendwann würde die Krankheit notgedrungen die Waffen strecken und sich ebenso heimlich, still und leise davonmachen, wie sie gekommen war. Leider hatte der Trick bislang nicht funktioniert.
In dem einen oder anderen geschlossenen Laden am Straßenrand brannte eine Lampe. Die an öffentlichen Gebäuden angebrachten Straßenlaternen waren nicht nur unvorteilhaft platziert, sondern schienen obendrein eher unfreiwillig Licht zu spenden. Sie warfen trügerische Schatten auf den Gehsteig, die mal harmlosen Furchen, mal mannstiefen Löchern glichen. Zum Glück hatten Siri und Daeng ihre Taschenlampen mitgenommen.
Als sie schließlich vor der ersten der drei Damen standen, stellten sie fest, dass die neue Generation von Regierungsbeamten anscheinend zeitig schlafen ging. In nur vier der circa fünfzehn Fenster brannte trübes elektrisches Licht. Wie die meisten Villen der begüterten Familien des Ancien Régime war die alte Dame eilends zu einem Mehrparteienhaus umgebaut worden. Sämtliche Familien teilten sich ein Bad und lebten jede zusammengepfercht in einem kleinen Zimmer. Höherrangige Parteimitglieder hatten auch schon einmal zwei. Als er nach Vientiane gekommen war, hatte auch Siri in solch einem Haus gewohnt. Es gab keinen Hauswart, bei dem man sich beschweren konnte. Wenn etwas kaputtging, was nicht eben selten vorkam, mussten die Bewohner ihr schwerverdientes Geld zusammenlegen und es reparieren lassen. Die Segnungen des Kommunismus …
Da sie niemanden um Erlaubnis fragen konnten, beschlossen Siri und Daeng, ein wenig auf eigene Faust herumzuschnüffeln. In den Tropen hatten Häuser im Allgemeinen keinen Keller, da der in der Regenzeit mit Wasser vollgelaufen wäre. Sie gingen einmal um das Gebäude herum und leuchteten einander mit der Taschenlampe den Weg. Als sie wieder vor der Haustür ankamen, klebten zwar unzählige Kletten an ihren Hosen, aber von schwarzer Spitzenunterwäsche war weit und breit nichts zu sehen.
»Ich finde, wir sollten reingehen«, schlug Siri vor.
»Nach mir«, sagte Daeng und sprang schon die Treppe hoch.
Die Haustür war aus massivem Teakholz und offensichtlich sehr, sehr alt. Sie stießen sie auf, und die Angeln gaben ein trotziges Ächzen von sich. Von dem langen Korridor, der sich vor ihnen erstreckte, gingen drei Zimmer ab. Der Gang war mit einst modischem – und jetzt abgetretenem – Linoleum ausgelegt. Links von ihnen führte eine dunkle Treppe in den ersten Stock. Die beiden Zimmer zur Rechten waren bewohnt. An einer war mit Klebeband ein rechteckiges Kärtchen befestigt, auf dem ein Name stand, doch es war zu dunkel, um ihn zu entziffern. Der einzige Lichtschein im Flur kam aus dem dritten Zimmer, ein Bad links hinter der Treppe, und zog sie magisch an.
Staunend traten Daeng und Siri ein. Das Badezimmer war blitzsauber. Verschiedenfarbige Plastikschüsseln und
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