Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
folgen dem Verlauf des Rohrs einfach an der Oberfläche.«
Sie leuchteten mit ihren Taschenlampen über die Straße, in die Richtung, aus der das Rohr kam. Nichts als Büsche und Sträucher. Eine Brache zwischen zwei leer stehenden Häusern, auf der sich der gesamte noch verbliebene Regenwaldbestand des Landes zu drängen schien.
»Wie sollen wir da durchkommen?«, fragte Siri.
»Mit roher Gewalt«, sagte Daeng und zog eine furchteinflößende Machete aus ihrer Umhängetasche. Sie ging über die Straße und ließ den Lichtstrahl ihrer Taschenlampe an dem grünen Hindernis entlanggleiten. Siri folgte ihr. »Da unten«, sagte sie.
Sie hatte einen flachen, dunklen Blättertunnel entdeckt, der aussah wie die Fährte eines kleinen Tieres.
»Also doch kriechen«, stöhnte Siri.
Daeng lag bereits auf allen vieren und hackte auf das Blattwerk ein.
»Ich übernehme die Führung, damit du meinen Hintern einer eingehenden Betrachtung unterziehen kannst«, sagte sie.
»Aha, nur zu, geliebte Amazone.«
Nach knapp fünf Minuten hatte die mühselige Krabbelei ein Ende, und sie gelangten auf eine Lichtung. Die war keine Laune der Natur. Die Lichtung bildete ein perfektes Quadrat, zwölf mal zwölf Meter, wahrscheinlich für ein Bauprojekt gerodet, aus dem dann nichts geworden war. In ihrer Mitte befand sich, genau wie auf der Karte angegeben, der Palast des Verrückten Rajid. Auf dem Bild war er prächtig wie das Taj Mahal, mit Kuppeln, Minaretten und einer Legion von Wachsoldaten. In Wirklichkeit bestand er zur Gänze aus alten Fernsehapparaten. Sie waren sechsfach übereinandergetürmt und fügten sich zu einem Quadrat, das auf den ersten Blick keinen Eingang zu haben schien. Zusammengehalten wurden die Fernseher von getrocknetem Flussschlamm. Als Zinnen dienten ausrangierte Radios, die in regelmäßigen Abständen auf der Brüstung thronten.
»Wie, meinst du, hat er das gemacht?«, fragte Daeng.
Siri schüttelte lachend den Kopf. »Da fallen mir auf Anhieb drei Möglichkeiten ein. Erstens, die Fernseher lagen bereits hier herum, und er hat sich einen Palast daraus gebaut. Zweitens, die Thais wollten ihren Elektroschrott loswerden, haben die Dinger in den Fluss geworfen, und bei Hochwasser wurden sie angeschwemmt. Oder, drittens, er hat in der Stadt alte und defekte Fernseher gesammelt und sie hierhergeschleppt. Wie auch immer, es freut mich, dass er die letzten zehn Jahre nicht nur untätig herumgesessen hat.«
Sie gingen einmal um den Palast herum und suchten nach einem Eingang. Es gab keinen.
»Du glaubst doch nicht etwa, er ist da drin?«, fragte Daeng.
»Rajid, sind Sie da drin?«, rief Siri.
Keine Antwort.
»Wie kommen wir da rein?«, fragte er.
»Vielleicht hilft ein Zauberspruch. Wie hieß noch gleich diese Formel, die schon die alten Römer kannten?«
»Abrakadabra.«
»Abrakadabra«, wiederholte Daeng.
Nichts passierte.
»Tja, da wir sämtliche Rätsel gelöst und den Weg hierher gefunden haben«, befand Siri, stellte seine Tasche ab und trat vor die Wand aus Fernsehern, »gibt es wohl nur eine Möglichkeit, die Trutzburg zu erobern.« Er hob die Hand, streckte sich und zog am Lautstärkeregler eines der kleineren Apparate. Wie erwartet taugte der Flussschlamm als Zement nicht allzu viel. Der Mörtel bröckelte, und der Fernseher fiel Siri vor die Füße. »Aha«, deklamierte er. »Der Durchbruch ist geschafft. Gleich ist der Palast unser.«
Daeng kam ihm zu Hilfe, und binnen Sekunden hatten sie eine Lücke in die Wand gerissen, die breit genug war, um hindurchzuschlüpfen. In der Mitte des Gevierts entdeckten sie das aufgestemmte Gitter eines großen Abflusskanals. Allem Anschein nach war Rajid auf diesem Weg ins Innere des Palasts gelangt. Abgesehen von den etwa fünfzig Gabeln, die rings um den Gully in die Erde gerammt waren, beschränkte sich das Mobiliar auf einen Pappkarton. Siri suchte sich einen Weg zwischen den Gabeln hindurch und öffnete die Kiste.
»Irgendetwas Interessantes?«, fragte Daeng.
»Knochen«, antwortete Siri.
»Meine Güte. Was denn für Knochen?« Wieder lag sie auf den Knien und inspizierte das Besteck.
»Alte, um nicht zu sagen sehr alte Knochen. Außerdem Tonscherben und Haare.«
»Oje.«
»Was ist?«
»Die Gabeln. Es sind Grabsteine.«
»Hä?«
»Frösche, wie es aussieht, aber ich habe nicht die Absicht, alles umzupflügen, um herauszufinden, was sich sonst noch darunter verbirgt.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hat er ein Faible für
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