Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
tot, Genosse.«
Die beiden Jungs erwachten aus ihrer Lethargie und traten neben Boonhee, um einen Blick auf das Foto zu werfen.
»Ich komme aus dem Leichenschauhaus«, sagte Siri. »Ich warte schon seit Tagen darauf, dass ihre Familie sich bei uns meldet. Sie muss ordentlich bestattet werden.«
Boonhee machte ein verwirrtes Gesicht. Dann sah er dem Doktor in die Augen, als ob des Rätsels Lösung dort zu finden sei.
»Ihre Mutter wird … o Gott. Wie ist es passiert?«
»Sie ist ermordet worden. Erdrosselt.«
Boonhee schwieg eine kleine Ewigkeit und fragte dann: »Wissen Sie schon, wer es war?«
»Nein.«
Wieder Schweigen.
»Weiß Phan Bescheid?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Aber es muss ihn doch jemand verständigen.«
Siri überließ es dem Bauern, den logischen Schluss zu ziehen.
»Wissen Sie, wo er zu erreichen ist?«, fragte der Doktor.
»Er arbeitet beim Straßenbauamt. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Dann haben Sie also keine Adresse oder Telefonnummer, unter der wir ihn erreichen könnten?«
»Ngam hat sämtliche Unterlagen mitgenommen.« Siri sah dem Mann an, wie sehr er sich beherrschen musste, um vor den Jungs nicht in Tränen auszubrechen.
»Erinnern Sie sich vielleicht an seinen Familiennamen?«, bohrte Siri.
»Den kannte nur Ngam.«
»Haben Sie die Trauungspapiere denn nicht unterzeichnet?«
»Meine Frau und ich können weder lesen noch schreiben.«
»Wo ist Ihre Frau? Vielleicht erinnert sie sich ja an weitere Einzelheiten?«
»Sie ist drüben bei Nit.«
»Genosse, es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen all diese Fragen stellen muss. Ich weiß, es ist nicht leicht.«
»Fragen Sie ruhig.«
Wenn es sich irgend vermeiden ließ, teilten Laoten ihre Trauer nicht mit Fremden.
»Gibt es irgendwelche Fotos von der Hochzeit?«
»Was wollen Sie denn damit?«
»Nun ja, da wir Phans Anschrift nicht kennen, ist das vielleicht die einzige Möglichkeit, ihn ausfindig zu machen.«
»Nit hatte eine Kamera. Leider war der Film darin schon über ein Jahr alt. Wir haben ihn zwar entwickeln lassen, aber die Bilder waren alle weiß.«
»Verstehe. Könnte ich vielleicht auch mit Ihrer Frau sprechen? Ich finde, wir sollten ihr das nicht vorenthalten.«
»Ja. Natürlich.« Boonhee nickte einem der beiden maulfaulen Burschen zu, und der Junge raste über die Felder davon, in einem Tempo, das Siri ihm niemals zugetraut hätte.
Die Nachricht versetzte Boonhees Frau einen schweren Schock. Ihr Mann hatte es ihr selbst gesagt und ihr auch das Foto gezeigt. Sie war in Ohnmacht gefallen. Bald darauf kam sie wieder zu sich, und Siri staunte nicht schlecht, als er sah, wie viele Tränen ihr ausgedörrter kleiner Körper zu produzieren vermochte. Trotzdem brachte sie kein Wort heraus. Boonhee und Siri geleiteten sie in die Hütte und betteten sie auf die dünne Matratze. Sie rollte sich zu einem Häuflein Elend zusammen. Boonhee begleitete Siri nach draußen.
»Brauchen Sie sonst noch etwas?«, fragte er den Doktor.
»Warum war sie von Kopf bis Fuß verhüllt? Wenn sie auf dem Feld arbeitete.«
»Ngam? Sie hatte eine Sonnenallergie.«
»Das ist nicht wahr.«
»Hä?« Boonhee starrte Siri fragend an.
»Ich bin Arzt.«
8
DER PALAST DER 111 AUGEN
Auf der Rückfahrt nach Vientiane ließ Siri sich die verblüffende Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen. Er konnte sich nur mit Mühe dazu durchringen, sie zu glauben. Ngam war ein hübsches Baby gewesen. Die Eltern konnten es kaum fassen, dass sie ein so reizendes Wesen zur Welt gebracht hatten. Wegen ihres Aussehens gaben sie ihrer Tochter den Namen Ngam, das laotische Wort für »schön«. Sie hatten keine Zweifel, dass sie zu einer bildhübschen jungen Frau heranwachsen würde. Doch Mongaew, ihre Mutter, war der Ansicht, dass ein Mädchen in Asien nur dann als wahre Schönheit galt, wenn seine Haut schneeweiß war. In der Reklame, in Zeitschriften, ja selbst im Wanderkino, vor dem Machtwechsel, hatten alle klassischen Schönheiten einen Porzellanteint.
Als Kind hatte sich Mongaew Fantasien und Tagträumen hingegeben. Wenn sie weiß wäre, würde sie eines Tages vielleicht zur Miss Sangkhan gewählt werden und beim großen Festumzug mitfahren dürfen, auf dem geschmückten Wagen mit dem viergesichtigen Kopf von Phanya Kabilaphon. Doch es blieb ein unerreichbarer Traum. Sie war weder weiß noch besonders attraktiv. Aber nun hatten die Götter sie mit einem Wunder gesegnet: einem kleinen Mädchen, das tatsächlich Chancen hatte, den
Weitere Kostenlose Bücher