Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
Amphibien.«
»Verrät uns das, wohin er verschwunden ist?«
»Nicht im Geringsten.«
»Aber eins musst du zugeben: Er ist ein herrlich verschrobenes Kerlchen.« Mit der Gabel schaufelte sie Erde über den exhumierten Frosch und sprach ein kurzes Gebet für seine Seele.
9
LAOTISCHE PATRIOTINNEN
Siri saß in dem Korbstuhl vor Madame Daengs Nudelküche und durchforstete den Inhalt des Kartons: alles in allem zehn zumeist gebrochene Knochen, fünf Tonscherben und ein kleines wirres Haarknäuel. Da Daeng am Herd stand und das Frühstück zubereitete, konnten sie sich nur schreiend verständigen.
»Ich frage mich, wo er das ganze Zeug wohl herhat«, rief Siri.
»Was?« Das Knistern der Holzkohle im Feuer war so laut, dass sie ihn nicht verstand.
»Ich habe gesagt, einige dieser Scherben scheinen ziemlich alt zu sein.«
»Was machen die Knochen bei Licht besehen für einen Eindruck?«
»Keiner von ihnen ist vollständig erhalten, aber ich würde sagen, der hier ist das Fragment eines Oberarmknochens.«
»Woher willst du wissen, dass es nicht das Hinterbein einer Ziege ist?«
»Ich bitte Sie, Madame. Ich bin vom Fach.«
In Wahrheit hatte Siri erhebliche Zweifel. Seine Erfahrung beschränkte sich auf den Umgang mit menschlichen Knochen in menschlichen Körpern. Normalerweise war ihm der Kontext dabei eine große Hilfe. Er hatte sich noch nie mit den Unterschieden zwischen Tier- und Menschenknochen beschäftigt und auch noch nie einen Vierbeiner operiert. Zwar mochte es auf der Universität durchaus einen Einführungskurs namens Études comparées et méthodiques des squelettes des caprins et des vertèbres humaines gegeben haben, aber wenn, dann hatte er ihn längst vergessen. Gut möglich, dass der menschliche Oberarmknochen genau so aussah wie das Hinterbein einer Ziege.
Er rieb sich die Augen, damit er besser sehen konnte. Er hatte schlecht geschlafen. Gegen zwei hatte ihn ein neuerlicher Albtraum aufgeschreckt: die hässliche Schwangere mit den Würmern und dem toten Hund. Beim Aufwachen hatte er einen solchen Druck auf seiner Brust verspürt, als hätte sie die ganze Nacht auf ihm gelegen. Er konnte ihren Schweiß förmlich riechen. Seine Lunge rasselte. Auch Daeng war aufgewacht und hatte sich nach seinem Wohlbefinden erkundigt. Er hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, ihr die Wahrheit zu sagen, aber manchmal war die Wahrheit keine große Hilfe.
Er blickte auf, als ein Mann in Postuniform vorfuhr, auf einem Fahrrad, das nur noch von Schnur und frommen Wünschen zusammengehalten wurde.
»Schon geöffnet?«, fragte der Mann und stieg von seinem gefährlichen Gefährt.
Er kam jeden Morgen um dieselbe Zeit und stellte jedes Mal dieselbe Frage. Normalerweise setzte er sich an einen Tisch am Eingang, ohne eine Antwort abzuwarten, doch heute überreichte er Siri zu dessen großem Erstaunen ein Kuvert.
»Was ist das?«, fragte Siri.
In den meisten Ländern hätte der Umstand, dass ein Postbote einen Brief aushändigte, wohl kaum Anlass zu solch einer Frage gegeben. Doch die laotischen Postboten trugen dieser Tage nur noch selten Briefe aus. Da die Bevölkerung und die Regierung ihre jeweilige Paranoia kultivierten, war kaum noch jemand gewillt, einem Uniformierten seine Geheimnisse anzuvertrauen. Schriftliche Mitteilungen wurden von Busfahrern, Freunden mit Passierschein oder Verwandten überbracht, die sich auf dem Weg ins »Umerziehungslager« befanden.
Fast die gesamte Auslandspost wurde von einer Sonderabteilung des Bureau de Poste bearbeitet, die sich »Sektion für Sensible Angelegenheiten« schimpfte. Dort wurde sie geöffnet, gelesen, gegebenenfalls geschwärzt und zur Abholung in großen Holzkisten deponiert. Fremdsprachige Schriftstücke galten nicht zuletzt deshalb als zu sensibel für die SSA, weil es dort niemanden gab, der sie lesen konnte. Sie verschwanden auf Nimmerwiedersehen in den Akten.
»Ein Brief«, sagte der Postbote. »Ich sah zufällig Ihren Namen und dachte, ich bringe ihn vorbei. Leider hat ihn schon jemand geöffnet.«
Siri nahm den Umschlag an sich. »Danke, Genosse. Ist er …?«
»Ich glaube, sie haben ihn sich angesehen, und als sie merkten, dass er von einem Kind stammt, haben sie ihn anstandslos passieren lassen.«
Der Postbote verschwand im Restaurant, wo Madame Daeng ihn herzlich willkommen hieß. Andere Gäste kamen zu Fuß. Offenbar hatte sich der verlockende Duft bereits in der gesamten Innenstadt verbreitet. Nachdem Siri die große Sondermarke »Laotische
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