Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
Landmaschinen«, die ein Viertel des Kuverts einnahm, ausgiebig bewundert hatte, zog er ein Blatt liniertes Notizpapier daraus hervor. Auf den ersten Blick schien der Brief tatsächlich von der Hand eines Kindes zu stammen, aber dazu war er ein klein wenig zu sorgfältig geschrieben und formuliert.
Lieber Onkel Siri,
wie geht es Dir? Am Wochenende waren wir im Buddha-Park. Das war vielleicht ein Spaß. Da gibt es große Tiere und einen Riesenkürbis. Deinen Zwillingen würde es dort bestimmt auch sehr gut gefallen. Am 30. März gehen wir wieder hin.
Wenn Du sie mitbringst, kann ich ihnen alles zeigen.
Alles Liebe, Deine Nichte
Bao
Siri blickte lächelnd in den blauen Himmel und dankte den diversen Göttern, die sein Flehen erhört und diese Zeilen hatten Wirklichkeit werden lassen. Bao war eine junge Hmong, die Siri vor einigen Monaten im Nordosten kennengelernt hatte. Die Bewohner ihres Dorfes waren zum langen Marsch nach Thailand aufgebrochen, um sich den Repressionen durch die Pathet-Lao-Regierung und deren vietnamesische Verbündete zu entziehen, die sie erbarmungslos verfolgten, weil sie sich im Krieg auf die Seite der Amerikaner geschlagen hatten. Eines der Mädchen aus dem Dorf hatte kurz zuvor Zwillinge zur Welt gebracht und Siri gebeten, die beiden nach Vientiane zu schaffen und sich um sie zu kümmern. Die Babys mit zunehmen wäre für die Hmong zu gefährlich gewesen. Oft schon hatte sie das Geschrei von Kleinkindern an ihre Feinde verraten. Diesem Brief entnahm er, dass die Dorfbewohner die Reise wohlbehalten überstanden hatten und die Kleinen wieder zu sich nehmen konnten.
Mit einem Mal war seine Trübsal wie weggeblasen. Er marschierte mit dem Brief und dem Karton quer durch das kleine Lokal und grüßte die Gäste. Er trat zu Daeng und küsste sie auf die Wange. Was die anwesenden Männer mit Spott und Hohn quittierten; wahrscheinlich träumten sie insgeheim von einer so innigen Beziehung zu einer Frau.
»Was ist?«, fragte Siri. »Habt ihr etwa noch nie gesehen, wie ein Mann seine bezaubernde Gemahlin küsst?«
»Ich hab die Meinige noch nicht mal geküsst, als sie achtzehn war und wunderschön«, sagte ein Mann in mittleren Jahren.
»Du bist ja noch dümmer, als ich dachte, Bruder.«
»Vielen Dank«, sagte Daeng. »Aber womit genau habe ich das verdient?«
»Die Zwillinge werden uns Ende des Monats verlassen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie quietschte vor Freude. »Deine Hmong-Freunde?«
»Sieht ganz so aus, als hätten sie’s geschafft. Zumindest einige von ihnen.«
»Deine kleine Generalin?«
Lächelnd hielt er den Brief hoch.
»Bao hat geschrieben.«
»Siri, ich freue mich ja so für dich. Siehst du? Man muss nur fest genug an etwas glauben. Was hältst du davon, wenn du nach oben gehst, dich fertigmachst, und ich bringe dir eine Nummer zwei? Hach, besser hätte der Tag gar nicht beginnen können.«
Leider währte Siris Hochstimmung nicht allzu lange, denn kaum war er in der Pathologie eingetroffen, schickte der Fels des Glücks sich auch schon an, den Hügel der unvermeidlichen Enttäuschung hinabzurollen. Ngams Vater Boonhee erwartete ihn im Büro. Der Mann wollte die sterblichen Überreste seiner Tochter abholen und mit nach Hause nehmen, auch wenn er noch nicht recht wusste, wie er das anstellen sollte, hatte er doch weder Geld noch ein geeignetes Transportmittel. Nach eingehender Beratung wurde Dtui von Siri ins Sekretariat geschickt, um bei der Straßenbaukooperative anzurufen.
Sie bat um ein Gespräch mit dem Fahrer, der auf der Strecke zwischen Vang Vieng und Ban Xon verkehrte. Sie hatten Glück. Er war noch auf dem Hof und wollte sich nach dem Frühstück ohne Ladung auf den Weg machen. Dtui rief ihm ins Gedächtnis, wie er sich am Tag zuvor in der Pathologie aufgeführt hatte. In nüchternem Zustand war er ein ebenso bescheidener wie vernünftiger Mann, der sich diese Gelegenheit, seinen »Gesichtsverlust« wiedergutzumachen, unter keinen Umständen entgehen lassen wollte. Er erklärte sich bereit, Herrn Boonhee und den Leichnam der unsichtbaren Frau nach Hause zu befördern.
Boonhee dankte den Mitarbeitern der Pathologie für ihre Hilfe. Während sie die Leiche für den Abtransport fertigmachten und auf der Ladefläche des Lasters verstauten, saß er bei Siri im Büro.
»Wie geht es Mongaew?«, fragte er.
»Sie wird wohl nie darüber hinwegkommen«, sagte der Bauer. »Sie gibt sich die Schuld an ihrem Tod. Sie glaubt, dass Ngam ihretwegen nie ein normales Leben
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