Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
nicht die geringste Lust verspürte, schloss er die Augen und vergegenwärtigte sich den Si-Muang-Tempel. Er stellte sich Rajid vor, wie er dort umherstreunte und sich unbeliebt machte, zum Beispiel indem er sich vor alten Damen entblößte, die nichts Böses ahnend ihre Opfergaben darbrachten. Er malte sich aus, wie der Inder den Abt dadurch auf die Palme brachte, dass er die Wände der Gebetshalle hinaufkletterte oder kopfüber von der Dachrinne baumelte. In der Regenzeit …
Siri erstarrte. Er schlug die Augen auf. Sein Herz raste. Er schüttelte Daeng, und zu seinem Erstaunen kam sie in Sekundenschnelle zu sich und saß hellwach im Bett. Siri war schon aufgestanden und stieg in seine Hose.
»Wo willst du denn hin?«
»Steht der Vorschlaghammer noch hinterm Haus?«
»Wenn er nicht auf Wanderschaft gegangen ist.«
»Gut. Kommst du mit?«
»Da sage ich nicht Nein.« Sie zog sich ebenso eilig an wie ihr Mann. »Wo soll’s denn hingehen?«
»Das verrate ich dir unterwegs.«
An der Mahosot-Klinik machten sie halt, und Siri holte die Stehleiter aus Bambus hinter der Pathologie hervor. Er alarmierte zwei Krankenpfleger der Nachtschicht und bat sie, ihm auf dem Fahrrad zu folgen. Zum Glück lagen sämtliche Polizeibeamten der Stadt friedlich in ihren Betten, denn ein greises Pärchen, das um zwei Uhr morgens mit einer Stehleiter und einem Vorschlaghammer bewaffnet auf dem Motorrad durch Vientiane raste, hätte vermutlich ihren Verdacht erregt. Schliddernd kamen sie auf dem gekiesten Vorplatz des Si-Muang-Tempels zum Stehen. Siri hoffte inständig, dass das Tor nicht verriegelt war. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass der Tempel den gequälten Seelen der Kapitale nicht rund um die Uhr zur Verfügung stand. Aber im Land herrschten Angst und Paranoia, und selbst Mönche schliefen hinter verschlossenen Toren.
Sie hatten Glück. Die beiden Torflügel schienen zwar mit einer Kette gesichert zu sein, doch die hatte kein Schloss. Geräuschvoll entfernte Siri das Gliederband, ohne sich darum zu kümmern, wen er aus dem Schlaf riss. Je mehr, desto besser. Sie nahmen die Leiter, Siri schulterte den Vorschlaghammer, und Daeng leuchtete ihnen mit einer Taschenlampe den Weg. Sie marschierten geradewegs zur Stupa und lehnten die Leiter dagegen. Sie reichte nicht ganz bis zu der ausgebesserten Stelle.
»Du hältst die Leiter fest, und ich steige hinauf«, sagte Siri. Hätte es sich nicht um eine Tempelstupa gehandelt, hätte Daeng vermutlich per Elefant-Maus-Ameise ausknobeln wollen, wer welche Aufgabe übernehmen durfte, doch dem standen tief verwurzelte buddhistische Tabus entgegen, wonach es Frauen streng verboten war, auf religiösen Bauten herumzukraxeln. Er war auf sich allein gestellt, und er durfte keine Zeit verlieren – so die denn nicht ohnehin längst abgelaufen war. Daeng schob ihm die Taschenlampe in den Hosenbund und drückte seine Hand.
»Was wir vorhaben, grenzt an ein Sakrileg«, sagte sie, während er mit geschultertem Vorschlaghammer die Sprossen erklomm. »Falls wir mit unserer Vermutung falschliegen, was der Himmel verhüten möge, könnten wir in heftige Erklärungsnöte geraten.«
Siri war nicht nach Reden zumute. Er hob sich seinen ohnehin begrenzten Luftvorrat für die bevorstehende Aufgabe auf. Da er den Hammer nicht mit beiden Händen zugleich umfassen konnte, ohne einen Sturz zu riskieren, klammerte er sich mit der Linken an der Leiter fest und schloss die Rechte um den schweren Vorschlaghammer.
In Si Muang gab es nur noch vier Mönche und den Abt, und das Klirren der Torkette hatte sie vollzählig aus dem Schlaf geschreckt. Als sie bei der Stupa ankamen, malträtierte Siri die frischen Ziegel bereits mit mächtigen Hieben.
»Bei allem, was heilig ist, was machen Sie denn da?«, brüllte der Abt.
»Mein Schatz«, rief Daeng die Leiter hinauf, »ich könnte mich in Kürze gezwungen sehen, den einen oder anderen Mönch ins Jenseits zu befördern. Ich hoffe, du kannst mir vergeben, wenn ich in die Hölle komme.«
Der Abt blieb schlagartig stehen.
»Meine Güte. Die beiden sind ja verrückt. Haltet sie auf!«, befahl er seinen Begleitern.
Er blieb zurück und ließ den Mönchen den Vortritt. Die pirschten sich langsam an. Daeng griff in ihre Umhängetasche und zog ein extrem langes Messer daraus hervor. Sie fuchtelte halbherzig damit herum, und die Mönche erstarrten.
»Es tut mir wirklich furchtbar leid«, sagte sie. »Ich persönlich habe nichts gegen den Tempel. Ich bin mein Leben
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