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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Rotation ihrer todbringenden Köpfe deutlich zu erkennen war.
    Dann verschwand der Nebel so plötzlich, wie er gekommen war, und an seiner Stelle schob sich ein weißes Pferd zwischen den Fyrd und Brif. Die Metallbolzen zerbarsten an der Flanke des herrlichen Tieres in tausend Lichtsplitter. Sie wirbelten nach allen Seiten auseinander und klirrten wie Glas, das in einem Hohlraum der Zeit geschüttelt wurde.
    Der Schimmel bäumte sich auf. Auf seinem Rücken saß eine Frau, die sehr alt und zugleich jugendlich war und eine goldene Scheibe um den Hals trug.
Die Friedensweberin,
dachten sie in ehrfürchtigem Staunen. So gut man sie auch aus Legenden und Liedern, von Bildteppichen und Gemälden kannte, so war es doch nur wenigen vergönnt, sie jemals leibhaftig zu sehen. Selbst Brif, der Imbolc schon lange kannte, verspürte Verwunderung und Überraschung.
    Der Schimmel wandte sich ab, und mit ihm die Reiterin, deren wehendes Haar und schillerndes Gewand ein fließendes Spektrum von Farben hinterließen, das plötzlich als kalter Hagelschauer, wie sie nie einen gesehen hatten, zur Erde prasselte – riesige Klumpen und Scherben aus Eis, erfüllt von einem seltsamen Licht, das erlosch, wo es hinfiel.
    In diesem endlos scheinenden Augenblick zogen sich beide Parteien zurück, um einen weiteren Zusammenstoß zu vermeiden. Die Fyrd flüchteten über die dunklen Felder, nicht gewillt, ihr Leben gegen einen Gegner aufs Spiel zu setzen, der mit der Friedensweberin im Bunde stand. Imbolc selbst verschwand über ihren Köpfen wie ein Lichtbogen, der den Sturm und Regen und schließlich auch die Wolken darüber durchdrang und direkt über den Mond sprang.
    Die Gefahr durch die Fyrd war gebannt, und in der Stille, die folgte, traten Pike, Brif und die anderen zu Katherine und Jack.
    »Warum hat er den Rückzug angetreten?«, erkundigte sich Pike leise bei Brif.
    »Weil er heute Abend etwas viel Wichtigeres entdeckt hat als nur einen Knaben«, antwortete Brif ernst. »Er hat die Bestätigung erhalten, dass beide Kinder unter dem Schutz der Friedensweberin stehen und daher lebend wertvoller sind. Aber seien Sie versichert, Pike, eines Tages wird der Sub-Quentor zurückkehren und Anspruch auf sie erheben, wenn er kann. Er ist ein reinblütiger Sinistral, und die geben nie auf.«

21
VERRAT
    D och in dieser Nacht war eine Kraft gegenwärtig, die weder der kluge Brif noch einer der anderen Hydden noch der Anführer der Fyrd bemerkte. Und diese Kraft, auf ihre eigene, finstere Art so gewaltig und großartig wie jeder Schimmel, jede Friedensweberin oder die Reinheit der sterblichen Seele, war der Ehrgeiz der Sterblichen, jener Schicksalslenker und Verführer der Seelen zum Richtigen wie zum Falschen, zum Guten wie zum Schlechten.
    Er weilte dort unter ihnen, und er hatte ein lächelndes Gesicht.
    Wie das Samenkorn, das auf die nährende Kraft von Wasser und Sonne wartet, bedarf der Ehrgeiz nur einer Gelegenheit, um zum Leben zu erwachen, hervorzutreten und die Gunst der Stunde zu nutzen. Er wittert die Gelegenheit wie eine Krähe das Aas, und solcher Art war das drängende Gefühl, das Igor Brunte, den jungen Gehilfen des Fyrd-Anführers, nun durchströmte.
    Er war kein Fyrd von Geburt, sondern durch Ernennung. Er war das, wonach er aussah – ein Pole oder, wie die Fyrd seinesgleichen zu nennen pflegten, ein Polack. Als die Fyrd die Hydden von Warschau unterwarfen, war er erst fünf Jahre alt gewesen, aber gerade alt genug, um niemals zu vergessen oder zu vergeben, was seiner Geburtsstadt widerfuhr.
    Seinen Vater hatten sie sofort getötet, seine Mutter und seine ältere Schwester geschändet, seine älteren Brüder zusammen mit anderen Kindern bei lebendigem Leib verbrannt. Brunte wäre dasselbe Los zuteilgeworden, hätte ihn nicht, bevor die Flammen sie erreichten, ein Bruder gewaltsam durch ein Eisengitter gedrückt, durch das kein anderes Kind passte. Die glühend heißen Stäbe hatten auf seiner Stirn und Brust zwei parallele Narben hinterlassen.
    Sein Bruder hatte drei Sätze zu ihm gesagt, die ihm immer im Gedächtnisbleiben würden und die zur Richtschnur seines späteren Handelns werden sollten:
Bleib am Leben. Vergiss nie. Nimm Rache.
    Brunte lernte die Kunst des Überlebens in den leidvollen Jahren seiner Kindheit, die ihn durch ganz Europa führte und schließlich ins eigentliche Kernland der Fyrd am Rhein verschlug. Dort konnte er den Feind aus der Nähe studieren, indem er seiner Armee beitrat, in seinen Kriegen focht und

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