Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
trotzdem sonderbar.«
»Von wegen. Weltraum ist sonderbar.«
Die beiden Jungen sahen sich an. Einen Moment herrschte Schweigen im Baumhaus.
Dann sprang Marshall vom Bett und lief zur Tür.
»Wohin gehst du?«, wollte Beecher wissen.
»Ich geh furzen. Meine Mutter hat gesagt, es wäre unhöflich …«
»Wie alt bist du denn? Sechs? Furz hier! Das stört doch keinen!«
Marshall stand mitten im Raum, legte die Hände an die Seiten und machte genau das.
Es war ein leiser Furz.
»Dir ist aber schon klar«, Beecher lehnte sich auf dem Sitzsack zurück, »dass Gespräche wie diese der Grund dafür sind, dass die Leute sich nicht gerne mit uns abgeben.«
Darüber musste Marshall lachen. So richtig lachen.
»Aber wegen des Weltraums und der Todesanzeigen werden wir auch von all dem hier wegkommen«, fuhr Beecher fort. »Von hier … Und von Wisconsin. Wir werden die Einzigen sein, die hier wegkommen.«
»Ich mache mir keine Sorgen darüber, dass ich nicht von hier wegkommen könnte«, antwortete Marshall und setzte sich auf die Kante des Klappbetts. Dann blickte er auf sein Haus unter ihnen. »Ich frage mich nur, wer sich dann um meinen Dad kümmern wird.«
Beecher blieb stumm, aber nicht lange. »Ich wette, dass wir auch jemanden finden können, der sich um ihn kümmert.«
In diesem Moment, als Marshall seine Aufmerksamkeit wieder auf das Baumhaus lenkte, als er sich wieder auf sein Klappbett legte und darüber nachdachte, wie viele Leute sich noch vor acht Monaten hier drängelten, als er an dem Plexiglasfenster und dem supercoolen Flaschenöffner vorbeigeblickt hatte, in diesem Moment begriff Marshall Lusk, dass man nur eins in einem Baumhaus wirklich brauchte: einen Freund.
»Ich habe gerade wieder gefurzt, Beecher.«
»Weiß ich. Meine Nase funktioniert sehr gut, Blödmann.«
20. KAPITEL
Sechs Tage früher
Ann Arbour, Michigan
Manchmal, wenn der Stress Clementine zu überwältigen drohte, stellte sie sich vor, wie ihre dicke rote Katze um ihre Knöchel strich. Sie konnte es richtig fühlen.
Als sie jetzt über den Highway zurückfuhr, tat sie genau das. Auf dem Schoß lag die Akte, die Palmiotti ihr gegeben hatte. Sie hatte sie aufgeklappt und gegen das Lenkrad gelehnt.
Clementine hätte am liebsten angehalten, um sie auf dem Parkstreifen des Highways zu lesen. Aber der Gedanke, Palmiotti oder irgendjemand sonst könnte sie überrumpeln, trieb sie weiter. Sie musste warten.
Nur eben das konnte sie nicht. Sie hatte so lange darauf gewartet; ihr ganzes Leben, genau genommen. Während sie sich jetzt auf die Ruhe konzentrierte, die der Gedanke an ihre Katze ihr spendete, warf sie immer wieder kurze Blicke auf die Akte.
Sie war schwer zu lesen, vor allem bei dieser Geschwindigkeit, und es war eine ganze Menge Material, angefangen von den körperlichen und geistigen Profilen bis hin zur Dokumentation der Dienstzeit ihres Vaters. Sie sah immer wieder nach unten, während sie die Papiere durchblätterte, und blieb schließlich bei der ersten Seite hängen, die leichter lesbar zu sein schien.
Es war eine einzelne, rosafarbene Seite, ziemlich weit vorn. Auf der das Wort Belobigung fett gedruckt stand.
Es war nur ein Brief. Der Schriftart nach zu urteilen, schien es eines der ältesten Dokumente in der Akte zu sein. Sie überflog den ersten Abschnitt, während sie immer wieder zur Straße hochblickte, dann den nächsten. Laut dieses Briefes hatte ihr Vater, Nico Hadrian, wertvolle Dienste dabei geleistet, militärische Operationen im Hauptquartier nachzustellen.
Ein lautes, rhythmisches Rumpeln signalisierte, dass ihr Wagen links von der Spur abkam und über die kleinen Reflektoren fuhr, die Katzenaugen. Clementine blickte hoch und brachte den Wagen mit einem kurzen Ruck am Lenkrad wieder in die Spur.
Sie versuchte zu atmen, aber es fühlte sich an, als hätte jemand in ihrem Brustkorb eine Faust geballt und schöbe sie ihr jetzt in den Hals.
Es war nur ein einfacher Brief. Eine Belobigung. Von dem befehlshabenden Offizier Bryan Burgess … wertvolle Dienste geleistet … Das bedeutete, er hatte etwas Gutes getan.
Der Aktenordner rutschte vom Lenkrad, und die Papiere verteilten sich auf dem Beifahrersitz.
Sie wurde von ihren Gefühlen übermannt. Tränen traten in ihre Augen. Aber sie empfand weder Trauer noch Erleichterung. Clementine umklammerte das Lenkrad. Das Gefühl, das sie beherrschte, war Wut.
Sie stampfte einmal mit dem Fuß auf, und der Geist ihrer roten Katze verzog sich wie eine
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