Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
Stühle sind unberührt, das Polster des Sofas hat nicht eine einzige Falte. Auf den Tischen liegt kein Buch, kein gerahmtes Bild oder irgendein anderer Gegenstand, der beweist, dass hier jemand lebt. Ich komme mir vor, als wäre ich in einem Theaterstück und das wäre die Möblierung für die Szene im Wohnzimmer. Oder noch Schlimmeres. Ich sehe mich um.
Bitte sag mir, dass das hier kein sicheres Haus ist.
Ich denke an das sichere Haus zurück, in dem ich vor ein paar Monaten gewesen bin. Die Regierung versteckt darin Diplomaten oder Zeugen oder benutzt es vielleicht sogar für private Unterredungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Ich sah mich weiter um. Abgesehen von einem ordentlichen Stapel von Briefen auf einem Tisch und einer Schüssel Blaubeeren auf dem Küchentresen hängt das Einzige, was man als persönliche Note in dieser Wohnung bezeichnen könnte, an der langen Wand hinter dem Sofa. Ein einfacher weißer Rahmen, der ein elegantes … Zuerst dachte ich, es wäre ein Foto, aber es ist ein gemaltes Bild. Eine bemalte Leinwand,kaum größer als ein I-Pad. Ich trete dichter heran, um es zu betrachten.
Das Gemälde zeigt eine Frau, aber ihre Gesichtszüge sind verschwommen. Ihre Augen sind nicht wirklich zu erkennen, ebenso wenig wie ihr Mund. Und als sie in dieses ruhige, türkisfarbene Wasser geht, scheinen sich ihre Beine, ihre Arme, ihr ganzer Körper aufzulösen. Sie fließen von ihrer Taille weg, als würde sie ein Teil des Wassers werden.
»Hübsches Gemälde«, sage ich, um das Schweigen zu brechen.
»Vom Flohmarkt«, erwidert Marshall. Er drängt sich an mir vorbei und schlendert zum Schlafzimmer. »Ich muss auf die Toilette«, erklärt er. Offenbar glaubt er, dass ich nicht bemerke, dass er noch Handschuhe trägt, als er durch sein Schlafzimmer geht.
Er umkurvt im Zickzack das Bett und verschwindet im Bad. Ich tue so, als würde ich das Gemälde betrachten, aber ich kann ihn sehen. Er zieht die Handschuhe aus und wirft sie … Hat er sie gerade in den Müll geworfen?
Als er die Tür zum Badezimmer schließt, betrachte ich wieder das Gemälde. Ich habe oft genug mit kostbaren Dokumenten gearbeitet, um eine erstklassige Versiegelung zu erkennen.
Ich lese die Signatur am unteren Rand des Gemäldes, Nuelo Blanca , und tippte sie rasch in mein Handy. Dann füge ich die Worte Gemälde zum Kaufen hinzu. Der erste Treffer ist eine Galerie in Los Angeles. Dort gibt es ein Gemälde des Künstlers namens WasserFall 5. Kostenpunkt: 22 000 Dollar.
Also gut, Marshall. Ein Künstler, der Bilder für zweiundzwanzig Riesen verkauft? Das Bild ist ganz bestimmt nicht vom Flohmarkt.
»Hast du einen Anruf bekommen?«, fragt er mich mit seiner heiseren Stimme.
Ich zucke zusammen und wirble herum. Marshall steht direkt hinter mir.
Er deutet auf mein Telefon, das ich immer noch in der Hand halte. »Du hast einen Anruf bekommen?«, wiederholt er.
»Ich habe meine Mails überprüft«, sage ich und weiche keinen Zentimeter zurück.
Er zieht die Augen zu Schlitzen zusammen. »Die meisten Leute haben hier keinen Empfang«, meint er.
Ich werfe einen Blick auf das Telefon, das Totte mir vor zwei Wochen gegeben hat. Tadellose Täuschung hat es ein bisschen aufgepeppt. Für den Culperring.
»Das ist ein ziemlich gutes Telefon«, erwidere ich.
Marshall leckt sich die Lippen, und mir fällt auf, dass die linke Hälfte seiner Zunge ein bisschen heller ist als die rechte. Sieht fast so aus, als wäre sie ebenfalls plastisch repariert worden. Offenbar wurde selbst seine Zunge bei dem Feuer verbrannt.
»Tu mir einen Gefallen«, sagt Marshall. »Verrate mir, warum du hier bist.«
»Ich bin hier, um herauszufinden, worüber du mit mir reden wolltest.« Ich nehme meinen Blick nicht von ihm.
»Wie bitte?«
»Als du gestern verhaftet worden bist, hattest du einen Zettel mit meinem Namen in deiner Tasche.«
Er legt den Kopf auf die Seite und beobachtet mich. »Verstehe. Die Polizei hat dich angerufen.«
»Natürlich. Sie haben immerhin meinen Namen und meine Telefonnummer in deiner Tasche gefunden.«
Er grinst unbeeindruckt. Ich werfe einen Blick nach unten, bemerke seine perfekt gewienerten Schuhe. »Warum sonst sollte ich wohl deine Nummer bei mir haben, Beecher? Natürlich wollte ich mit dir reden.«
»Tatsächlich.«
»Das tun alte Freunde doch, oder etwa nicht? Ich bin letzte Woche zufällig Craig Rogers begegnet. Kannst du dich noch an ihn erinnern?«
»Ich weiß, wer Craig Rogers ist. Wir haben
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