Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
hohe schwarze Metallgitter auf der rechten Seite. »Beecher, hast du dir eigentlich jemals die Männer angesehen, die versucht haben, die Führer unseres Landes zu ermorden? Die Experten sortieren sie in zwei Kategorien ein. In die der Heuler und die der Jäger. Die Heuler bedrohen uns, indem sie uns unheimliche Nachrichten schicken und Bombendrohungen ausstoßen, aber die gute Nachricht lautet, dass sie ihren Drohungen selten Taten folgen lassen. Sie wollen nur Aufmerksamkeit, also genügt es ihnen, zu heulen und Krach zu schlagen. Bei den Jägern ist das anders. Jäger handeln. Sie recherchieren, bereiten sich vor, planen und folgen dann diesem Pfad bis zu ihrem Ziel. Am interessantesten jedoch ist, dass Heulern die Jagd nichts bedeutet. Und Jäger keinerlei Interesse am Heulen haben. Da du ja jetzt eine gewisse Zeit mit Marshall zugebracht hast: Zu welcher Sorte gehört er deiner Meinung nach?«
Ich antworte nicht und starre auf die roten Rücklichter der Fahrzeuge vor uns. Aber ich kann nur das angedeutete Lächeln von Marshall sehen, als er seinen Witz macht, er würde den Präsidenten mit einem Steakmesser ermorden.
»Er hatte deinen Namen aus einem bestimmten Grund in seiner Hosentasche, Beecher. Und er trägt auch diese Handschuhe aus einem bestimmten Grund. Jetzt sind nämlich deine Fingerabdrückeüberall auf dieser Lincolnmaske. Falls es dir also noch nicht klar sein sollte, wenn es um Mord geht, wissen selbst die übelsten Jäger die Vorzüge eines Sündenbocks zu schätzen.«
»Ich hab’s kapiert, Totte. Und ich weiß deine Warnung zu schätzen.«
»Kann ich dir noch eine andere Frage stellen?«, fährt Totte fort. »Ich kenne zwar die Antwort darauf schon, aber wenn Marshall versucht, den Präsidenten zu ermorden, bist du da sicher, dass du bereit wärst, ihn aufzuhalten?«
»Wie bitte?«
»Ich meine ja nur. Wir alle wissen, was du Präsident Wallace gegenüber empfindest. Nachdem also dieser zweite Pastor in der Foundry Church erschossen worden war, hatten wir es zuerst mit John Wilkes Booth zu tun und jetzt mit Charles Guiteau. Das ist keine Einzeltat mehr, sondern ein Muster, und zwar von ermordeten Präsidenten. Also sag mir eins, Beecher: Wenn dieses Muster anfängt, auf unseren derzeitigen Präsidenten zu deuten …«
»Wer sagt denn, dass es das tut?«
»Willst du mir etwa weismachen, es wäre anders? Jemand hat gerade bis ins letzte Detail zwei politische Attentate nachgestellt.« Er spricht langsamer. »Und es gibt nur noch zwei erfolgreiche Attentate auf Präsidenten, die man nachmachen kann. Also, wenn diese Sache dorthin führt, wohin sie, wie wir beide glauben, führen wird, nämlich zu Präsident Wallace, und jemand ihm ein Steakmesser an den Hals halten will, würdest du das wirklich verhindern wollen?«
»Hättest du mich wirklich ausgesucht, wenn du die Antwort nicht kennen würdest?«
»Ich habe doch gesagt, ich kenne die Antwort. Ich versuche nur, dich vorzubereiten.« Seine Stimme klingt so ernst, wie ich sie noch nie gehört habe. »Ich weiß, dass der Präsident ein Mistkerl ist, und ich hasse ihn genauso wie du. Aber genau das machen wir im Culperring, Beecher. Wie auch immer unsere Gefühle sein mögen, wir beschützen die Präsidentschaft.«
»Ich bin kein Mörder, Totte.«
»Das sage ich auch nicht. Aber eines musst du zugeben: WennMarshall dieses Steakmesser in der Hand hätte und du einfach nur dastehen und zusehen würdest … Mein lieber Junge, damit würdest du wirklich eine Menge Fliegen mit einer einzigen Klappe schlagen.«
Einen Moment sitze ich wie erstarrt da und blicke wie hypnotisiert auf die roten Heckleuchten vor uns. »Das glaubst du wirklich von mir?«
»Es spielt keine Rolle, was ich glaube. Wichtig ist nur, dass es genau dazu kommen wird, Beecher, jedenfalls nach den bisherigen Morden zu urteilen. Und wenn es so weit ist, musst du deine Entscheidung getroffen haben.«
Ich schweige immer noch, als Totte die Geschwindigkeit verlangsamt und rechts abbiegt, auf die breite Einfahrt mit den vielen Fahnenmasten, an der die amerikanische Flagge und die des Militärs hängen. Die schwarzen Metallgitter sind bereits offen. Dahinter befindet sich ein kugelsicheres Wachhaus, in dem es noch vor einem Jahr von bewaffneten Wachen nur so wimmelte. Heute ist nur noch einer da, der eine militärische Uniform trägt, und er ist auch nur mit einem Klemmbrett bewaffnet. Im Gras rechts von uns steht ein Schild, das uns im Walter Reed Army Medical Center begrüßt.
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