Der Fünfte Elefant
musste.
»Recht gut, soweit ich weiß. Wie dem auch sei: Sie ist der Mei-
nung…«
Es klopfte an der Tür.
Sybil seufzte. »Heute Abend hat Willikins frei«, sagte sie. »Du
sol test besser gehen und öffnen, Sam. Das entspricht gewiss dei-
nem Wunsch.«
»Ich habe extra darauf hingewiesen, dass ich nicht gestört wer-
den möchte«, sagte Mumm. »Es sei denn, es ist sehr wichtig.«
»Ja, aber du hältst al e Verbrechen für wichtig, Sam.«
Karotte stand vor der Tür. »Es handelt sich um eine… politische
Angelegenheit, Herr.«
»Was kann um Viertel vor zehn abends politisch sein, Haupt-
mann?«
»Jemand ist ins Zwergenbrotmuseum eingebrochen, Herr«, ant-
wortete Karotte.
Mumm blickte in Karottes ehrliche blaue Augen.
»Mir ging da gerade ein Gedanke durch den Kopf, Hauptmann«,
sagte er langsam. »Vermutlich fehlt ein ganz bestimmter Gegens-
tand.«
»Da hast du Recht, Herr.«
»Die Nachbildung der Steinsemmel.«
»Ja, Herr. Entweder brachen die Unbekannten nach unserem
Aufenthalt ins Museum ein, oder…« Karotte befeuchtete sich ner-
vös die Lippen. »Oder sie versteckten sich, während ich dir die
Semmel zeigte.«
»Es waren also doch keine Ratten.«
»Nein, Herr. Tut mir Leid.«
Mumm streifte seinen Mantel über und nahm den Helm vom
Haken.
»Jemand hat die Nachbildung der Steinsemmel gestohlen, und
zwar einige Wochen bevor das echte Exemplar bei einer wichtigen
Zeremonie verwendet wird«, sagte er. »Das finde ich sehr interes-
sant.«
»Das dachte ich ebenfalls, Herr.«
Mumm seufzte. »Ich hasse die politischen Fälle.«
Als sie gegangen waren, blieb Sybil noch eine Zeit lang sitzen
und blickte auf ihre Hände hinab. Dann nahm sie eine Lampe,
ging in die Bibliothek und griff nach einem dünnen, in weißes Le-
der gebundenen Buch. Goldene Buchstaben bildeten die beiden
Worte »Unsere Hochzeit«.
Es war ein recht seltsames Ereignis gewesen. Ankh-Morporks
Highsociety – sie stand so weit oben, meinte Sam, dass sie zum
Himmel stank – hatte es sich aus reiner Neugier nicht nehmen
lassen, daran teilzunehmen. Sybil galt zu jener Zeit als eine beson-
ders interessante Ledige, die von sich selbst glaubte, dass sie nie
heiratete. Und Mumm war nur ein Hauptmann der Wache gewe-
sen, jemand, der ziemlich vielen Leuten auf die Nerven ging.
Sybil betrachtete die Ikonographien der Hochzeit. Sie sah sich
selbst, recht eindrucksvoll, wenn auch nicht unbedingt eine strah-
lende Schönheit. Sam schnitt eine recht finstere Miene und schien
sich das Haar hastig glatt gestrichen zu haben. Feldwebel Colon
hatte die Brust so weit aufgebläht, dass seine Füße fast den Bo-
denkontakt verloren. Nobby grinste von einem Ohr bis zum ande-
ren. Vielleicht schnitt er auch eine Grimasse; bei ihm ließ sich das kaum feststellen.
Sybil blätterte vorsichtig. Seidenpapier schützte die einzelnen
Blätter.
In vielerlei Hinsicht, so sagte sie sich, konnte sie wirklich von Glück sagen. Sie war stolz auf Sam. Er arbeitete hart für das Wohl
der Allgemeinheit. Er kümmerte sich um Leute, die als unwichtig
galten. Er musste immer mit mehr fertig werden, als gut für ihn
war. Sybil kannte keinen zivilisierteren Mann. Er gehörte nicht zur Kategorie »Gentleman«, dem Himmel sei Dank, aber er war lie-benswürdig und zuvorkommend.
Eigentlich blieb es ihr ein Rätsel, was er machte. Oh, sie wusste natürlich, welchen Beruf er ausübte, aber ganz offensichtlich verbrachte er nicht viel Zeit hinter seinem Schreibtisch. Wenn er
schließlich zu Bett ging, legte er seine Sachen direkt in den Wä-
schekorb. Erst später, bei Gesprächen mit der Wäscherin, erfuhr
sie von den Blutflecken und dem Schlamm. Man munkelte von
Verfolgungsjagden über Dächer und Kämpfe, bei denen nicht nur
Fäuste zum Einsatz kamen, sondern auch Knie in besonders emp-
findliche Körperstel en gestoßen wurden. Sams Gegner dabei hat-
ten Namen wie Herribert »Schraubenschneider« Wumms…
Es gab einen Sam Mumm, den Sybil kannte, der fortging und ir-
gendwann zurückkehrte. Und es gab noch einen anderen Mumm,
der kaum ihr gehörte und in der gleichen schrecklichen Welt lebte
wie die Männer mit diesen abscheulichen Namen.
Sybil Käsedick war dazu erzogen worden, sparsam, rücksichts-
vol und nach außen hin vornehm zu sein. Sie neigte dazu, gut von
anderen Leuten zu denken.
Erneut betrachtete sie die Bilder in der Stille des Hauses. Dann
putzte sie sich laut die Nase, um anschließend mit dem Packen
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