Der Fünfte Elefant
einzuschätzen. Eigent-
lich waren mehrere Männer nötig, um ein so großes Boot zu ma-
növrieren, aber er brauchte sich nur von den Ufern fern zu halten.
Das würde für die kommende Nacht genügen. Am nächsten Mor-
gen wollte er es irgendwo zurücklassen und vielleicht jemanden
bitten, eine Nachricht mit Hilfe des Turms zu übermitteln. Wenn
er sich dann ein Pferd kaufte und losritt…
Hinter ihm, unter der Plane am Bug, knurrte etwas. Sie waren
wirklich sehr schlau.
In einem nicht weit entfernten Schloss blätterte Lady Margolotta
stumm in einer Ausgabe von Twurps Adelsverzeichnis.
Es war kein besonders gutes Nachschlagewerk für die Länder auf
dieser Seite der Spitzhornberge, wo das Standardwerk Der gothische Almanach hieß – darin nahm Lady Margolotta vier Seiten ein*. Aber es leistete wertvolle Dienste, wenn man wissen wollte, wer in
Ankh-Morpork eine Rolle spielte.
Inzwischen steckten Dutzende von Lesezeichen in dem dicken
Buch.
Neben Lady Margolotta stand ein dünnes Glas mit roter Flüssig-
keit. Sie trank einen Schluck und verzog das Gesicht. Dann blickte
sie ins Kerzenlicht und versuchte, wie Lord Vetinari zu denken.
Ahnte er irgendetwas? Wie viele Nachrichten erreichten ihn?
Den Nachrichtenturm gab es erst seit einem Monat, und viele Leu-
te in Bums hielten ihn für etwas Fremdes und Störendes. Aber
offenbar herrschte bereits reger Kommunikationsverkehr.
Wen würde Vetinari schicken?
Lady Margolotta erhoffte sich wichtige Hinweise von seiner
* Bei Vampiren wachsen die Namen immer mehr in die Länge. Es hilft
ihnen, sich während der langen Jahre die Zeit zu vertreiben.
Wahl. Entsandte er viel eicht jemanden wie Lord Rust oder Lord
Selachii? Dann würde sie weitaus weniger von ihm halten. Nach
dem, was sie gehört hatte – und Lady Margolotta hörte viel –,
konnte das diplomatische Korps von Ankh-Morpork den eigenen
Hintern nicht einmal mit einer Karte finden. Natürlich war es
recht nützlich für einen Diplomaten, dumm zu wirken, bis er ei-
nem schließlich die Socken klaute, aber Lady Margolotta hatte ei-
nige Botschafter von Ankh-Morpork kennen gelernt, und ihrer
Meinung nach konnte niemand so gut schauspielern.
Das Heulen draußen ging ihr allmählich auf die Nerven. Sie läu-
tete nach dem Diener.
»Fur Ftelle, gnä’ Frau«, sagte Igor und materialisierte aus den
Schatten.
»Geh und sag den Kindern der Nacht, sie sol en ihre wundervol-
le Musik woanders erklingen lassen. Ich habe Kopfschmerzen.«
»Fehr wohl, gnä’ Frau.«
Lady Margolotta gähnte. Eine lange Nacht lag hinter ihr, und der
Tag brachte hoffentlich ungestörten Schlaf. Anschließend konnte
sie bestimmt klarer denken.
Als sie die Kerze auspusten wol te, fiel ihr Blick erneut auf das
Buch. Ein Lesezeichen steckte beim M.
Aber… der Patrizier konnte doch nicht so viel wissen.
Sie zögerte und zog dann den Klingelzug über dem Sarg. Igor er-
schien erneut, auf typische Igor-Art.
»Die tüchtigen jungen Männer beim Nachrichtenturm sind wach,
nicht wahr?«
»Ja, gnä’ Frau.«
»Lass unserem Agenten eine Mitteilung zukommen. Er soll alles
über Kommandeur Mumm von der Wache herausfinden.«
»Ift er der Diplomat, gnä’ Frau?«
Lady Margolotta legte sich hin. »Nein, Igor. Er ist der Grund für Diplomaten. Bitte schließ den Deckel.«
Sam Mumm konnte sich in Gedanken mit zwei Dingen gleichzeitig
befassen. Die meisten Ehemänner sind dazu imstande. Sie lernen,
über eigene Dinge nachzudenken, während sie gleichzeitig auf das achten, was ihre Ehefrauen sagen. Das Zuhören ist wichtig, denn
sie müssen jederzeit mit der Aufforderung rechnen, den letzten
Satz zu wiederholen. Eine sehr praktische zusätzliche Fähigkeit
besteht darin, nach verräterischen Ausdrücken im Dialog Aus-
schau zu halten, in der Art von »Es kann bereits morgen geliefert
werden«, oder »Deshalb habe ich sie zum Essen eingeladen«, oder
»Das gibt es auch in Blau und es kostet überhaupt nicht viel«.
Lady Sybil wusste davon. Sam konnte ein Gespräch mit ihr füh-
ren, ohne den sprichwörtlichen Faden zu verlieren, während er an
etwas ganz anderes dachte.
»Ich sagte Wil ikins, dass er Wintersachen einpacken sol «, mein-
te sie und musterte ihren Mann. »In dieser Jahreszeit ist es dort
oben ziemlich kalt.«
»Ja. Das ist eine gute Idee.« Mumms Blick galt weiterhin einer
Stelle dicht über dem Kamin.
»Ich schätze, dass wir selbst einen Empfang veranstalten
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