Der Fünfte Elefant
man könnte sie als liberal bezeichnen. Sie stammen
größtenteils aus den Bergen hinter Kupferkopf und kommen mit
Menschen gut aus. Manche von ihnen räumen sogar ein, dass sie
Töchter haben, Herr. Aber einige der… altmodischen Überwald-
Zwerge sind nicht sehr weit herumgekommen und verhalten sich
so, als wäre B’hrian Blutaxt noch am Leben. Deshalb nennen wir
sie Drudak’ak .«
Mumm versuchte, das Wort auszusprechen, aber um die Zwer-
gensprache zu beherrschen, musste man ein Leben lang üben und
brauchte außerdem eine mittelschwere Halsentzündung.
»›Über dem Boden‹… ›Sie-Verneinung‹…« Er gab es auf.
»Sie kommen nicht oft genug an die frische Luft«, übersetzte
Grinsi.
»Oh. Na schön. Und al e dachten, der neue König sei einer von
ihnen?«
»Es heißt, Albrecht hätte nicht ein einziges Mal in seinem Leben
Sonnenlicht gesehen. Am Tag geht sein Clan nie an die Oberflä-
che. Alle waren sicher, er würde der neue Niedere König sein.«
Doch dann kam es anders, dachte Mumm. Einige Überwald-
Zwerge unterstützten ihn nicht, und daraufhin entwickelten sich
die Dinge in eine andere Richtung. Inzwischen gab es viele Zwer-
ge, die in Ankh-Morpork geboren waren. Die Kinder trugen ihre Helme mit der hinteren Seite nach vorn und sprachen Zwergisch
nur noch zu Hause. Viele von ihnen würden eine Spitzhacke nicht
einmal dann erkennen, wenn man sie damit schlug.* Sie wollten ihr
Leben nicht von einem alten Zwerg bestimmen lassen, der in ei-
nem fernen Berg auf einer uralten Semmel hockte.
Nachdenklich klopfte Mumm mit dem Stift auf sein Notizbuch.
Und deshalb prügeln sich die Zwerge in meinen Straßen, dachte er.
»In letzter Zeit sieht man die Zwergensänften immer häufiger«,
sagte er. »Trol e tragen sie, und sie sind mit Vorhängen aus dickem
Leder ausgestattet…«
»Drudak’ak«, meinte Grinsi. »Sehr… traditionel e Zwerge. Wenn sie am Tag über dem Boden unterwegs sein müssen, dann meiden
sie das Sonnenlicht.«
»Vor einem Jahr sind sie mir noch nicht aufgefallen.«
* Jedenfalls, wenn man fest genug zuschlug.
Grinsi zuckte mit den Schultern. »Es leben jetzt ziemlich viele
Zwerge in der Stadt, Herr. Die Drudak’ak haben das Gefühl, unter Zwergen zu sein. Sie brauchen sich nicht mit Menschen ab-zugeben.«
»Mögen sie uns nicht?«
»Sie lehnen es sogar ab, mit Menschen zu reden. Doch in dieser
Hinsicht sind sie auch Zwergen gegenüber recht wählerisch.«
»Das ist doch blödsinnig!«, entfuhr es Mumm. »Woher bekom-
men sie Lebensmittel? Von Pilzen al ein kann man nicht leben.
Was tun sie, um Erz zu verkaufen, Bäche aufzustauen und sich
Holz für die Stützbalken in den Stollen zu beschaffen?«
»Entweder bezahlen sie andere Zwerge, um diese Arbeiten zu
verrichten, oder sie nehmen Menschen in ihre Dienste«, sagte
Grinsi. »Sie können es sich leisten. Es sind sehr gute Bergleute: Sie besitzen sehr gute Bergwerke.«
»Für mich klingt es nach einem Haufen…« Mumm unterbrach
sich. Ein kluger Mann, so wusste er, respektierte die traditionel e
Lebensweise anderer Leute, um Karottes freundliche Worte zu
zitieren. Doch Mumm fiel es oft schwer, dieses Prinzip zu achten.
Es gab Leute, deren »traditionel e Lebensweise« darin bestand,
anderen Leuten die Kehle durchzuschneiden, und Mumm konnte
sich nicht dazu durchringen, solchem Verhalten mit Respekt zu
begegnen.
»Ich denke nicht besonders diplomatisch, oder?«, fragte er. Grin-
si erwiderte seinen Blick und achtete darauf, dass ihre Miene aus-
druckslos blieb.
»Oh, ich weiß nicht, Herr«, erwiderte sie. »Du hast den Satz nicht
beendet. Und… nun, viele Zwerge respektieren die Drudak’ak.
Sie… fühlen sich besser, wenn sie einen der traditionel en Zwerge
sehen, Herr.«
Mumm runzelte verwirrt die Stirn. Dann dämmerte es ihm.
»Oh, ich verstehe. Vermutlich sagen sie dann Dinge wie ›Dem
Himmel sei Dank, dass jemand die Traditionen wahrt‹.«
»Ja, Herr. Ich nehme an, in jedem Zwerg von Ankh-Morpork
steckt ein winziger Drudak’ak, der weiß, dass Zwerge normalerweise in Höhlen und Stollen leben.«
Mumm kritzelte in seinem Notizbuch. Daheim, dachte er. Karot-
te hatte in al er Unschuld von den Zwergen »daheim« gesprochen.
Alle Zwerge – ganz gleich, wo sie sich aufhielten – dachten von
den Bergen als »daheim«. Eigentlich komisch, dass die Leute über-
al Leute waren, wohin man auch ging, auch wenn die betreffenden
Leute nicht zu den Leuten gehörten,
Weitere Kostenlose Bücher